Schattenwanderer
der König. »Drück dich gefälligst klar aus!«
»Also, es ist wahr«, gab Kli-Kli kleinlaut zu. »Aber ich wollte nur eine der Zauberflüssigkeiten aus Garretts Tasche ausprobieren!«
»Auf meine Kosten? Wer soll die Gnome jetzt wieder besänftigen?«
Der Narr schwieg höflich und gab sich den Anschein, als sei ihm das Ganze außerordentlich peinlich. An Kli-Klis Reue glaubte selbstredend niemand – doch auf dieses Wunder hatte nicht einmal er gehofft.
»Außerdem war sie ohnehin kaputt!«, rechtfertigte sich der Kobold.
»Mit dir habe ich mir was aufgehalst!« Der König schüttelte verärgert den Kopf.
Kli-Kli setzte noch einmal eine niedergeschlagene Miene auf, als solle dergleichen nie wieder vorkommen.
»Versuch, diese Sache in Ordnung zu bringen!«
Der arme Leutnant, betraut mit diesem unerfüllbaren Befehl, zögerte kurz, bevor er nickte, und entfernte sich: auf in den Kampf mit den Gnomen. O ja, auf ihn wartete eine gefährliche und schwierige Aufgabe. Wenn nicht gar eine unmögliche. Es wäre einfacher, einen Oger davon abzuhalten, einen Menschen zu fressen, als aufgebrachte Gnome zu beruhigen, vor allem wenn sie aus gewichtigem Grund tobten, nämlich des lieben Geldes wegen.
»Ich …«, setzte Kli-Kli an, verstummte jedoch, als er den lodernden Blick des Königs auffing.
»Hört Euch das an!«, verlangte Arziwus. Der Erzmagier war in keiner Weise auf den empörenden Zwischenfall eingegangen. Seine ganze Aufmerksamkeit hatte den alten Papieren gegolten. »Das ist äußerst interessant!«
Der Magister las das rätselhafte Gedicht vor, das auch schon For beschäftigt hatte. Im Unterschied zu meinem Lehrer brauchte der Erzmagier keine Wörterbücher zu wälzen, denn er beherrschte die erste Sprache der Orks und Elfen, das Altorkische, zur Genüge.
»Dazu möchte ich bemerken, dass eine Strophe einen der vermessensten und widerwärtigsten Fälle von Diebstahl darstellt, den ich je in meinem Leben erlebt habe«, erklärte der Narr, sobald Arziwus zu Ende deklamiert hatte.
»Und welche?«, fragte der Erzmagier überrascht.
»Aug in Aug sich blickend, in dichte Schatten gehüllt,
Stehen die toten Ritter und sagen kein einzig Wort,
Einem sich das Schicksal nicht durchs Schwert erfüllt,
Einem, der näher als dem Bruder ist dem Schatten dort.« Der Narr hatte die Zeilen in verächtlichem Ton vorgetragen. »Das stammt aus dem Buch Bruk-Gruk.«
»Aus dem Buch der Prophezeiungen der Kobolde? Bist du sicher?«, fragte Miralissa.
»In meinem ganzen Leben war ich noch nie so sicher. Das ist ohne Frage aus dem Bruk-Gruk. Nur haben irgendwelche Schlauberger die Strophe verfälscht.« Der Kobold schien vor Empörung zu platzen, dass irgendwelche Menschlein die große Koboldprophezeiung verschandelt hatten.
»Von welchem Buch sprecht ihr?«, mischte sich Alistan ein. Genau wie ich hatte er noch nie etwas von einem Buch Bruk--sowieso gehört.
»Liebwerter Graf!« Kli-Klis Stimme triefte von giftigem Spott. »Ihr solltet ab und zu das Schwert beiseite legen und Euch ein Buch vornehmen! Das Bruk-Gruk oder das Buch der Prophezeiungen wurde vor dreitausendfünfhundert Jahren von dem wahnsinnigen Schamanen Tre-Tre geschrieben. Es erzählt in Reimform von den wichtigsten Ereignissen, die sich in der Welt Sialas zutragen werden. So hat es das Erscheinen des Unaussprechlichen vorausgesagt. Und über das Verbotene Viertel gibt es auch einige Strophen, obwohl es der Orden in der Vergangenheit nie für nötig befunden hat, diese Zeilen zur Kenntnis zu nehmen«
Bei diesen Worten des Kobolds blickte Arziwus noch finsterer drein, hielt es allerdings für unter seiner Würde, auf den Narren einzugehen.
»Mein Großvater war Schamane«, fuhr Kli-Kli fort. »Er hat auch mich auf dieses Amt vorbereitet, nur war es mir nicht bestimmt, selber Schamane zu werden. Das Buch der Prophezeiungen kenne ich aber auswendig, deshalb habe ich die besagte Strophe sofort erkannt. Doch entweder hat der Verfasser den genauen Wortlaut vergessen oder er hat ihn bewusst verändert, um die alte Quelle zu verheimlichen. Aber ich habe die Strophe trotzdem erkannt!«
Die Stimme des Narren schwoll über vor Stolz. Ich glaube, der großväterliche Schamane wäre nicht weniger stolz auf seinen Enkel gewesen. Ein Buch auswendig zu kennen, das von irgendeinem Spinner geschrieben worden ist, dafür brauchte man fraglos ein besonderes Talent.
»Und wie lautete die Strophe ursprünglich?«
»Gepeinigt von Durst, verflucht vom Dunkel,
Ertragen
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