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Schattenwandler 05. Noah

Schattenwandler 05. Noah

Titel: Schattenwandler 05. Noah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacquelyn Frank
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feines Gehör«, sagte er ehrlich beeindruckt. »Und dir selbst ist Europa nicht fremd. Du sprichst nicht wie eine Amerikanerin.«
    »Kennst du viele Amerikaner?«
    »Ein paar. Den New Yorker Akzent finde ich besonders charmant.«
    Sie lachte. Nur ein Europäer konnte diesen Akzent »charmant« finden.
    »Hey … du weichst mir aus!«, sagte sie plötzlich und hob den Kopf vom Kissen, um ihn vorwurfsvoll anzuschauen.
    Noah lief plötzlich Gefahr, den Kontakt zu ihr zu verlieren. Er drückte seine Finger auf ihren sich bewegenden Rücken und versuchte hastig, die Situation zu korrigieren.
    »Tut mir leid. Eine alte Angewohnheit von mir. Meine Leute haben in den letzten Jahren eine Menge durchgemacht, deswegen bin ich ziemlich distanziert und versuche eher, abzulenken, um Informationen zu bekommen. Meine Familie stammt aus Tschechien. Viele meiner Leute haben ihre Wurzeln dort, obwohl wir überall verstreut sind oder hier in England in kleinen Gruppen leben. Es ist friedlicher hier, weniger Auseinandersetzung über Grundbesitz und Grenzen.«
    »Du sagst ›meine Leute‹. Was für Leute?«
    »Mein Volk. Ich bin der Anführer meines Volkes, und die Leute erwarten von mir Führung und die Einhaltung der Traditionen, die unser Volk ausmachen.« Er lächelte sie an. »Und was ist mit dir? Mit der Amerikanerin ohne amerikanischen Akzent? Deine Sprache ist sehr rein, fast so, als würdest du absichtlich jeden Akzent vermeiden.«
    Sie spürte, wie ihr ein Schauer über den Nacken kroch. Er hatte auf beängstigende Weise ins Schwarze getroffen. Sie war noch nie jemandem mit einer so feinen Wahrnehmung begegnet, und ihre erste Reaktion war, ihm dasselbe Märchen zu erzählen wie allen anderen. Sie war nicht so ehrlich wie er.
    »Ich war als junges Mädchen auf einem Internat in Kanada. Eine Schule für junge Mädchen aus gutem Hause. Man hat uns perfektes Französisch beigebracht. Man hat uns beigebracht, uns mit Präzision und Eleganz zu bewegen und mit Manieren und Etikette zu glänzen. Ich nehme an, ein paar von meinen Verhaltensweisen rühren von damals her.« Was stimmte. Sie spürte, wie ihr Herz bei dieser preisgegebenen Information pochte.
    Noah konnte ihre Angst spüren. Es traf ihn mit voller Wucht, und sein Herzschlag wurde schneller, um sich ihrem Rhythmus anzupassen. Er hielt einen Moment lang den Atem an, und sein Blick verschwamm vor Aufregung; endlich ein Zeichen dafür, dass ihre Gedanken miteinander in Austausch standen. Er ließ sich von dem Gefühl überwältigen und genoss es, mit ihr in Verbindung zu sein. Dann glitt er mit seiner Hand zu ihrem Nacken hinauf und begann, sanft die empfindliche Stelle zu massieren.
    »Und du bist viel auf Reisen«, brachte er mühsam hervor.
    »Woher weißt du das?«
    »Du bist in England unterwegs, wie jemand, der von Berufs wegen reist. Nur Leute, die viel unterwegs sind, tun das mit solcher Selbstverständlichkeit.«
    »Du bist wirklich der scharfsinnigste Mensch, dem ich je begegnet bin.«
    »Nun, in meinem Alter ist man um ein paar Weisheiten reicher.«
    »Oh ja, du bist ein weiser alter Mann. Solltest du nicht irgendwo auf einem Berg sitzen, einen langen weißen Bart tragen und auf deine Jünger warten?«
    »Habe ich schon erwähnt, dass Sarkasmus der natürlichen Schönheit deines Gesichts abträglich ist?«, gab er zurück.
    Sie lachte erleichtert auf, denn das Kompliment war so beiläufig und indirekt gewesen, dass sie es nicht sofort als solches erkannt hatte. Man hatte ihr beigebracht, sich für solche Äußerungen liebenswürdig zu bedanken, doch diesmal war sie sprachlos. Seine Hand massierte sanft ihren Nacken und löste die Anspannung und die Furcht, die das Gespräch womöglich hervorrief. Es hinterließ auch die Wärme seiner Finger und seiner Handfläche für immer auf ihrer Haut, ein magisches Kribbeln, das sich über ihren Rücken, ihre Schultern und sogar über ihren Kopf bis hin zum Gesicht ausbreitete. Sie hätte gern gewusst, wie er das machte. Im Augenblick jedenfalls wünschte sie sich, er würde nicht damit aufhören.
    »Ich werde versuchen, mich in Zukunft zurückzuhalten«, sagte sie leise.
    »Ist das ein Versprechen? Wenn ja, dann werde ich dich daran erinnern.«
    »Ich sagte, versuchen«, bemerkte sie. »Ich verspreche, es zu versuchen .«
    »Ich denke, ich sollte mich damit zufriedengeben«, murmelte er mit einem Anflug von Humor in seinen schönen Augen.
    »Ja, das solltest du«, spöttelte sie mit gekränkter Miene. Sie mussten beide lachen.

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