Schatz, schmeckts dir nicht
Auseinandersetzung mit Tränen und Gebrüll war abzusehen. Endlich griff Ulli ein. Schließlich war sie Lehrerin, und gemeinhin verband man damit wenigstens ein Mindestmaß an pädagogischen Fähigkeiten.
»Karli, lass deinen kleinen Bruder doch wenigstens mal kosten. Du darfst dann bestimmt auch mal bei ihm probieren.«
»Will ich ja gar nicht.«
»Du bist echt gemein«, jammerte Tobi, »außerdem ist bei mir Schinken, Mayo, Tomate und Gurke drauf und ich mag keine Gurke.«
Er warf einen schrägen Seitenblick auf Helene, wohl wissend, dass er die von den Erwachsenen soeben vorgetragenen Lobgesänge konterkarierte.
»Vielleicht möchte ja jemand mit dir tauschen. Versuch’s doch mal, Tobi!«, ermunterte Ulli, erzieherisch professionell, ihren Sohn.
»Du kannst ja auch einfach die Gurken runternehmen.« Helene klang gereizt. Nicht auszudenken, wohin so eine Tauscherei führen könnte.
»Ich mag aber den Schinken auch nicht. Nicht ganz so sehr«, wagte Tobi, die Unterstützung seiner Mutter im Hintergrund, zu widersprechen.
»Komm, ich geb dir meins.« Kurz entschlossen hielt Helene dem Quälgeist ihr zweites, noch nicht angebissenes, Sandwich hin.
»Was ist da drauf?«, fragte Tobi misstrauisch. So einfach ließ er sich diesen Trumpf nicht aus der Hand nehmen.
»Frischkäse, Tomate, Ei.«
»Au ja, das mag ich!«
Überrascht und erleichtert – sie hatte bei diesem Kind mit wesentlich mehr Komplikationen gerechnet – gab Helene ihm ihr Brot und nahm sein schon angebissenes, nicht mehr sehr appetitlich wirkendes, im Tausch entgegen.
Natürlich war der übrigen Runde Helenes Ärger über diese Episode nicht verborgen geblieben. Das war auch gut so. Jetzt würde keiner mehr wagen, irgendwelche Tauschgeschäfte zu fummeln, wenn er sich’s nicht mit ihr verderben wollte.
Man speiste, man trank. Joachim schenkte von seinem sagenumwobenen Ornellaia aus, den er extra zuvor zum Dekantieren in eine mitgebrachte Karaffe umgefüllt hatte, und die Stimmung war wieder die eines Picknicks unter Freunden. Die Sonne strahlte wie an einem Sommertag, ein leises Lüftchen bewegte das Blätterdach, unter dessen Schatten man lagerte, Vögel zwitscherten, Insekten summten – bilderbuchmäßig. Nur Diane schien keinen Appetit zu haben und ihre Sandwiches standen unberührt vor ihr.
Vielleicht redete sie sich satt, denn Maike, die sonst stets selbst das Wort zu führen pflegte, schien sie maßlos zu bewundern und fragte Diane regelrecht aus. Und diese gab gerne und ausführlich Auskunft zu Nityams Selbsterfahrungswochenenden, über die ayurvedische, dann die vegane Ernährung. Maike lauschte tief beeindruckt und schien sofort zu bereuen, dass sie soeben mit Genuss Teile eines von Menschenhand gemeuchelten Huhnes zu sich genommen hatte.
»Ja Wahnsinn, das ist ja klasse! Kannst du das?« Maikes lauter Kommentar ließ auch die anderen aufblicken. An einem Kettchen schwang in Dianes Hand eine messingfarbene, nach unten spitz zulaufende Kugel in elliptischen Bewegungen. So wie Helene ihr Schweizer Messer immer bei sich führte, schien für Diane ihr Pendel unverzichtbar – jedem das Seine.
»Können kann das im Prinzip jeder. Du musst nur zulassen, dass das Pendel sich frei und unabhängig von dir bewegt, es einfach laufen lassen. Natürlich gibt es Menschen, bei denen tut sich gar nichts, die eignen sich nicht zum Medium, aber das sind Ausnahmen.«
Das Pendel schwang jetzt über einem Silberreif, den sich Diane abgenommen hatte, gegen den Uhrzeigersinn. Mittlerweile beobachtete fast die ganze Runde fasziniert das Treiben.
»Und was sagt dir das jetzt?«, fragte Joachim mit skeptisch hochgezogenen Brauen.
»Zum Beispiel schlägt mein Pendel bei Silber und allen anderen Metallen links herum aus, nur bei Gold – siehst du?« Und sie legte einen goldenen Ohrstecker von Maike darunter.
»Es dreht sich rechts herum. Und nun legen wir fest: Nach rechts heißt: Ja, gut für mich, wahr. Nach links heißt: Nein, schlecht für mich, falsch. Und nun können wir dem Pendel Fragen stellen, entweder halten wir es direkt über ein Objekt oder legen uns eine Pendelkarte an. Na ja, das führt jetzt wohl ein bisschen zu weit.«
Diane lächelte milde in die Runde der Unwissenden.
»Tut mir leid, aber ich halte das denn doch für ziemlich finsteren Aberglauben.« Joachim konnte seine Meinung nicht zurückhalten.
»Also ich glaub da irgendwie dran«, gestand Ulli. »Bei einer Freundin von mir wurden, bevor sie schwanger war,
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