Schatz, schmeckts dir nicht
verändert! Oder vielmehr, wie anders war jetzt die Empfindung, das Gefühl, das sich beim Blick auf ihr eigenes Leben einstellte. Lange Zeit war ihr Alltag, ihr Familienleben, ihre Beziehung wie ein breiter, träger Strom friedlich dahingeglitten. Der Gedanke, dass ihre Welt in Ordnung war, hatte sie mit einem tiefen, ruhigen Glücksgefühl erfüllt. Allzu lange scheinbar hatte sie sich selbstzufrieden zurückgelehnt und dabei vergessen, aufmerksam zu sein, denn eigentlich wusste sie doch, dass man über sein Glück wachen musste. Sie hatte verdrängt, dass der normale Alltag meist aus den Phasen bestand, in denen man sich sagte, es könnte alles so schön sein, wenn. Wenn also diese Frau nicht wäre, dann wäre auch ihr häusliches Glück nicht bedroht.
Stand ihre Ehe auf dem Spiel? Würde sie mit dem Ende ihrer Beziehung in ein tiefes Loch rutschen, ins bodenlose Nichts? War das etwa Angst, was sich ihrer bemächtigen wollte? Helene nahm wieder einen Schluck des angenehm kühlen Weißweins und musste unwillkürlich grinsen. Zum Glück war mangelndes Selbstvertrauen noch nie ihr Problem gewesen. Jemand, der sich Helene zum Feind machte, war wirklich nicht zu beneiden, denn tief in sich verspürte sie eine kribbelnde Lust, diesen Feind vernichtend zu schlagen. Bei Diane empfand sie ein besonders intensives Kribbeln. Das wäre ja gelacht, wenn sie sich nicht dieser einen, wenn auch äußerst lästigen Person mit Hochgenuss zu entledigen wüsste. Voller Konzentration nahm sie ihr Rezeptstudium wieder auf.
»… und besonders die Damenwelt erliegt begeistert den Verführungen unseres gar zu köstlichen Marillenschaumes, dessen bittersüßes Aroma auch dem Gaumen schmeichelt, der Süßem gemeinhin abhold ist. Je nach Dosierung seiner Wirkstoffe, kann er, wenn erwünscht, ein kurzes, schnelles Ende herbeiführen. Ein sehr aparter Abschluss, sozusagen die Krönung einer unvergleichlichen Speisenfolge.«
Ja, das war doch wirklich eine nette Idee! Sie würde einen reinen Damenabend veranstalten, sozusagen als Wiederbelebung der alten Tradition, als sie reihum mit Ulli und Dorothea zu Beginn der Bürogemeinschaft ihrer Ehemänner diese Treffen veranstaltet hatten. Im Abstand von drei, vier Monaten hatte eine von ihnen zu einem Abendessen geladen, an dem nur Frauen, höchstens sechs an der Zahl, teilnahmen.
Die Abende hatten sich sehr unterschiedlich gestaltet, je nach Interessenlage der Gastgeberin. Ulli pflegte sie meist mit Kochvorschlägen einer bekannten Frauenzeitschrift zu überraschen und lud zur Ergänzung der Runde ausschließlich Damen ihres Lehrerkollegiums ein. Helene lernte viel über Montessori-Pädagogik und offenen Unterricht, kannte die Familienverhältnisse von Kevin, dem Problemkind aus der 3a, und die patenten Kolleginnen, allesamt bekennende Hobbyköchinnen, gaben ihr ungefragt tausenderlei Tipps, wie das Schokoladensoufflé, das Ulli misslungen war, ganz sicher nicht zusammenfiele. Und sie brachten immer so nette, selbst fabrizierte Aufmerksamkeiten mit, wie Salzteignamensschilder oder in Acryl gegossene Blüten als Broschen oder grünes Tomaten-Chutney. Außerdem hatten sie alle literarischen Neuerscheinungen längst gelesen und konnten darüber referieren. Helene fragte sich nicht ohne Bewunderung, woher sie zwischen Unterricht, seiner Vor- und Nachbereitung, dem Hüten der eigenen Kinder und ihrem ausgiebigen Mittagsschlaf dafür die Zeit nahmen.
Auch wenn sie dies nie aussprach, so hatte sich Helene die Einladungen reihum doch als eine Art edlen Wettstreit der Kochkunst vorgestellt, der gegenseitig anspornen und befruchten sollte. Waren ihr bereits bei Ullis nachgekochten Frauenmagazinrezepten Zweifel gekommen, so musste sie enttäuscht feststellen, dass Dorothea sich sogleich offen und freiwillig disqualifizierte.
Sie pflegte zwar nur vom Feinsten und Besten zu leben, kaufte ihre Lebensmittel in der Feinschmeckeretage des KaDeWe und speiste in den edelsten Restaurants der Stadt, hatte aber vom Kochen, und deshalb im Grunde auch vom Essen, keinen Schimmer. Der Preis war für sie das Qualitätsmerkmal, ihr Zeichen für Exklusivität. Doch sie wusste dieses Manko an kulinarischer Bildung sehr geschickt auszugleichen, indem sie ihre Einladungen als literarische Zirkel oder musikalische Soireen im exklusiv kleinen Kreis gestaltete, bei denen das Essen eine Nebenrolle spielte und meist in Form von Canapés herumgereicht wurde oder als kleines, wirklich kleines, kaltes Büffet bereitstand –
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