Schatz, schmeckts dir nicht
pair-Mädchen zu engagieren, damit Helene ihr Kunstgeschichtsstudium mit dem Ziel zu promovieren wieder aufnehmen konnte. So kam Claudine ins Haus.
Mit Anfang 20 war Claudine nur wenig jünger als Helene damals. Sie war Studentin und natürlich stammte sie aus Paris, war kapriziös und charmant und sprach ein verdammt schlechtes Deutsch, was aber allgemein nur als ausgesprochen süß oder niedlich empfunden wurde. Im Umgang mit den Kindern war sie äußerst liebevoll und umsichtig, die kleinen Arbeiten im Haushalt erledigte sie pünktlich und ordentlich, im Zusammenleben war sie liebenswürdig und bescheiden. Helene war begeistert. Sie hatte nicht geglaubt, dass es so ein perfektes Wesen geben würde.
Doch nach einigen Wochen – sie hatte Claudine mehrmals die Zubereitung des Abendessens für die Erwachsenen überlassen – befiel Helene ein Misstrauen. Claudine war eine ausgezeichnete Köchin und beeindruckte ihre Gastfamilie mit den authentisch und perfekt zubereiteten Spezialitäten aus ihrer Heimat. Bald aber wurde Helene klar, dass die kleine Französin vor allem bei Jan Eindruck schinden wollte, und zwar nicht nur mit französischer Küche. Natürlich gab Jan vor, das überhaupt nicht zu bemerken und Helene hätte nie eine entsprechende Frage gestellt, aber offensichtlich genoss er es, nach Strich und Faden von Claudine verwöhnt und angehimmelt zu werden.
Claudine vom Kochtopf fernzuhalten, erwies sich als ziemlich schwierig. Helene gab ihr zusätzliches Taschengeld, damit sie häufiger ausginge, und ermunterte sie, ruhig auch junge Kommilitonen mit ins Haus zu bringen. Doch das Mädchen hatte daran kein Interesse und versuchte immer weniger zu verbergen, dass sie in Monsieur, wie sie ihn mit treuem Augenaufschlag nannte, unsterblich verliebt war und alles für ihn tun würde. Nur das Objekt ihrer Begierde kriegte angeblich gar nichts mit!
Okay, so wichtig war Helene der Doktortitel auch nicht. Die kleine Französin schien es wirklich ganz schön erwischt zu haben, denn ihre liebevoll zubereiteten Köstlichkeiten waren immer häufiger ziemlich versalzen, was Helene dann lächelnd mit dem bekannten Spruch vom verliebten Küchenpersonal kommentierte. Hin und wieder brannte auch etwas an, oder war noch nicht gar, wenn es aus dem Ofen kam, was Claudine jedes Mal in Tränen auflöste, denn sie war sich sicher, alles vorschriftsmäßig zubereitet zu haben. Wenn Helene tröstend den Arm um sie legen wollte, bevor Jan auf die Idee kam, stieß Claudine sie verzweifelt beiseite und rannte in ihr Zimmer. Besorgt redete Helene mit Jan über die hysterischen Anfälle der jungen Frau und fragte sich und ihn, ob das vielleicht gut verstecktes Heimweh sei. Als sie ihr dann vorschlugen, bereits vor Ablauf der Zeit nach Frankreich zurückzukehren, wies sie dieses großzügige Angebot empört von sich und warf dabei giftige Blicke auf Helene.
In den nächsten Wochen fehlten dann häufiger kleine Beträge aus Helenes Haushaltskasse, die sie im Küchenbüffet aufbewahrte. Sie erzählte Jan ungläubig davon und auch er war völlig überrascht. So etwas hatte er dieser netten, offenen Person überhaupt nicht zugetraut. Er war tief enttäuscht und sie beschlossen, sich das Ganze nur noch kurz mit anzusehen, und wenn es kein Ende mit den Unehrlichkeiten gab, die Sache so schnell und so diskret wie möglich zu beenden. Nach zwei weiteren Wochen war es so weit. Eine völlig verwirrte Claudine, die die Welt nicht mehr verstand, packte ihre Koffer. Als sie gar nicht aufhören wollte, zu fragen »warum?« und »wieso?«, machte ihr Jan eine kleine Andeutung.
Ungläubig, mit offenem Mund stand Claudine da, und sagte dann nur mit ihrem süßen Akzent: »Das ist nicht wahr.«
Als Helene sich von ihr verabschieden wollte, wies sie sie zurück und ließ eine Schimpfkanonade auf Französisch gegen sie los, von der Helene jedenfalls genug verstand, um glücklich darüber zu sein, dass Jan wahrscheinlich kein einziges Wort davon mitkriegte. Das war Claudine. Etwas Derartiges war momentan nun wirklich nicht zu befürchten. Aber Wachsamkeit war nie falsch. Versonnen lächelte Helene in sich hinein.
Die meisten Gäste hatten inzwischen die Galerie verlassen, und nur noch Susanne und ihr junger russischer Freund Michael – inzwischen trunken, nicht nur vor Glück über den Erfolg seiner Werke –, ihr Mann Dieter sowie Jan und Helene saßen um das völlig abgegraste Büffet und führten bei diversen Gläschen Krimsekt Gespräche, die
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