Schatz, schmeckts dir nicht
eine Entwicklung verschlafen, wie sie sich selbstironisch sagte. Historisch gesehen, hielt sie diese Mode der rein pflanzlichen Küche sowieso für eine Verirrung. In welchem Land der Welt war die Küche jemals eine rein vegetarische gewesen?
Dorothea, immer den neuesten Trends in der Stadt auf der Spur, wusste natürlich sofort einige fleischlose Edelrestaurants aufzuzählen und outete sich durch das Frequentieren derselben als Teilzeitvegetarierin.
»Edel und vegetarisch«, kommentierte Helene, »das heißt also: übersichtliche Portionen, sündhaft teuer, weder Fisch noch Fleisch. Ich glaube, das ist nicht unser Ding.«
»Diese Restaurants sind eine Sache, vegetarische Ernährung eine andere.« Wie immer sprach Jan mit Vernunft und Überlegung.
»Und es gibt sicher viele ernstzunehmende Gründe, auf Fleisch zu verzichten.«
Musste Jan jetzt wieder den für alles Verständnis zeigenden, moderaten Weisen geben? Je älter er wurde, desto größer wurde sein Verständnis für alle möglichen Spinnereien. Leider konnte Helene nur in ihrem Inneren einen Stoßseufzer zum Himmel schicken. Und so schenkte sie ihm ein zuckersüßes Lächeln und stellte mit netten Worten klar, dass bisher weder sie noch er ein Faible für rein Vegetarisches entwickelt hätten.
»Dann wird es aber Zeit! Da werde ich Sie wohl von den Vorzügen der Pflanzenküche einmal überzeugen müssen«, bot Diane sofort aufopfernd an.
Das fehlt mir noch, dachte Helene. »Eine wundervolle Idee! Ich lerne immer gerne etwas über neue Küchen dazu. Und das ist ein mir völlig unbekanntes Gebiet.«
»Versprochen!«, gab Diane ihr Wort.
Trotz der unerquicklichen Tischgespräche waren Platten und Schüsseln ratzekahl geleert, als Helene sich ans Abdecken machte. Einzig Maike, immer auf der Suche nach neuen Eigenschaften für ihre nicht vorhandene Persönlichkeit, schien beeindruckt. Sie hatte das Wild auf ihrem Teller kaum angerührt, und für ihre Verhältnisse erstaunlich ruhig bei Tisch sitzend, schien sie darüber zu sinnieren, wie ihr wohl die Vegetarierin zu Gesicht stehen würde. Was für eine dämliche Ziege.
Helene war froh, sich für die Vorbereitungen des Desserts in ihre Küche zurückziehen zu dürfen, während Jan die Zäsur wie abgesprochen nutzte, um seine kleine Ansprache zu halten und den kurzen offiziellen Weihnachtsfeierteil hinter sich zu bringen. Das fast vergangene Jahr war für das Planungsbüro durchaus positiv verlaufen.
Helene begeisterte sich für den Duft, der den von ihr natürlich selbst gekochten Birnen entstieg. Nicht dieser süßklebrige Dosenkram, sondern die ganzen Früchte der Sorte Passe Crassane, geschält aber noch mit dem Stiel, mit etwas Zucker, Zitronensaft und Vanillestangen bissfest gekocht.
Jan und sein Team hatten ihren Erfolg in diesen harten Zeiten ihrem Fleiß und ihrer Phantasie zu verdanken, immer auf der Suche nach neuen Perspektiven modernen Bauens und Wohnens.
Der Walliser Williamsbirnengeist gab der ungezuckerten, geschlagenen Sahne ein ausgesprochen apartes Aroma, und dazu die üppige, dunkle, dickflüssige Sauce aus geschmolzener Schokolade und süßer Kaffeesahne … Mmh!
Jetzt freute sich das gesamte Büro über die neue Mitarbeiterin.
Voller Inbrunst fuhrwerkte Helene mit dem Portionierer in dem Vanilleeis herum, das ausnahmsweise nicht hausgemacht, sondern bei der italienischen Eisdiele am Potsdamer Platz besorgt worden war.
Jan freute sich, dass mit Diane ein neuer Geist in ihr vielleicht schon zu eingespieltes Team eingezogen war, und ganz besonders freute er sich auf die Intensivierung der Zusammenarbeit mit ihr. Natur und Umwelt, Zukunft, Umdenken, natur- und menschengemäßes Bauen, verschüttete Traditionen, verlorene Spiritualität, Ganzheitlichkeit.
Helene traute ihren Ohren nicht. Sie schichtete Vanilleeis, Birne und Sahne jeweils in einen Glaskelch, goss von der Schokoladensauce darüber und steckte entschlossen zwei Cigarettes Russes hinein.
»Und als besondere Weihnachtsüberraschung habe ich die Freude, bekannt zu geben, dass unser Büro den Ideenwettbewerb Öko-City gewonnen und den Auftrag zur Ausführung erhalten hat. Wir wollen darauf trinken, in der Hoffnung, damit einiges zu bewegen.«
Das war auch für Helene eine Überraschung. Er hatte ihr davon nichts erzählt. Jan nahm wieder Platz und Diane, die offensichtlich eingeweiht war, musste ihm einfach sagen, dass er sehr schöne Worte für ihr wegweisendes Projekt gefunden hatte. Und dass sie sehr froh war,
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