Schatz, schmeckts dir nicht
einen winzigen Schluck aus ihrem Weinglas, das sie den ganzen Abend kaum angerührt hatte. Dafür hatte sie reichlich Mineralwasser getrunken. Was für eine Asketin. Entschlossen leerte Helene ihr Glas und ließ sich von Jan gleich noch einmal nachgießen. Sonst saß sie gerne noch eine Weile unter ihren Gästen und erläuterte den einen oder anderen Kniff bei der Entstehung ihrer kulinarischen Kreationen, was die Bewunderung meist noch steigerte. Heute verspürte sie darauf keine Lust. Schließlich hatte Diane ja klar gemacht, dass Essen eine absolute Nebensächlichkeit im großen Universum war. So begann sie das Dessertgeschirr einzusammeln und traf ihre Vorbereitungen für Kaffee und Digestif.
Bald erfüllte der aromatische Duft von starkem, französischem Mokka die Luft und verbreitete Pariser Caféhausatmosphäre. Helene arrangierte zierliche Mokkatässchen und Cognacschwenker aus hauchdünnem Glas auf einem Tablett, stellte eine Schale von ihrem Weihnachtsgebäck, eine von ihrem handgefertigten Konfekt und die Flasche mit dem Walliser Birnengeist dazu. Das Thema Vegetarismus war zum Glück endlich abgehakt. Während Helene Kaffee und Digestif verteilte – beides lehnte Diane erwartungsgemäß ab – unterhielt man sich über das bevorstehende Weihnachtsfest, den Stress mit den Geschenkeeinkäufen, den Speiseplan, die Gestaltung der Feiertage.
»Ganz in Ruhe, nur wir und die Kinder«, wollten Ulli und Bobby die Festtage verbringen.
Und ob gerne oder gezwungenermaßen, die meisten nutzten Weihnachten zu einem Wiedersehen mit ihren Eltern, Geschwistern oder sonst wie verwandtschaftlich Verbundenen, die sie das ganze Jahr über nicht zu Gesicht kriegten.
»Und was habt ihr vor, Dorothea?«
»Schweiz.«
Jeder am Tisch hatte einfach zu wissen, dass damit das kleine aber feine Chalet von Dorothea und Joachim in der Nähe von Flims gemeint war.
»Ihr habt es gut!«, seufzte Helene. »Bei uns versammelt sich die ganze Familie. Wir werden mindestens elf Personen sein.«
»Das ist für dich doch eine Kleinigkeit!«, bemerkte Dorothea mit ihrem verbindlichen Lächeln im schönen Gesicht.
»Ich finde solche Familientreffen was Wunderbares!« Diane meinte es so, wie sie es sagte.
»Sind Sie auch an Weihnachten mit Ihrer Familie zusammen?«
»Ich habe überhaupt keine näheren Verwandten mehr. Ich weiß noch von einer Cousine meiner Mutter, die in einem Altenheim irgendwo bei Bremen lebt, aber wir hatten nie besonders engen Kontakt. Manchmal ist das schon ein eigenartiges Gefühl, so ganz ohne familiäre Bindungen zu sein.« Diane blickte versonnen in die Runde.
Ein verlassenes Waisenkind war sie also auch noch! Helenes Mitgefühl hielt sich in Grenzen. Sie würde sie ganz gewiss nicht an Weihnachten in ihr Haus bitten, damit sie ihrer Einsamkeit entkäme!
»Aber wer weiß, wozu das gut ist! Dafür hat man Energien frei für andere Dinge im Leben und Platz im Herzen für einige gute Freunde – wirklich sehr gute Freunde.« Der Nachdruck mit dem Diane dies sagte, machte jedem klar, dass er diese besondere Art von Freunden nicht sein eigen nennen konnte. Helene, am Ende ihres Gala-Programmes angekommen, erinnerte sich des noch nicht geöffneten Gastgeschenks. Sie holte das kleine stoffumhüllte Päckchen, das erstaunlich schwer war, an den Tisch, um es auszupacken. Sie löste den Knoten, schlug den Stoff zurück und vor ihr lag ein Klümpchen Metall, Eisen oder so etwas. Wohlerzogen sagte sie entzückt: »Wie schön!« Sie war sich völlig bewusst, dass Diane sie gespannt beobachtete. Auch die anderen am Tisch schauten neugierig auf das Objekt. Keiner schien so recht zu wissen, was das sein sollte.
»Ein Klumpen Gold?«, riet Ulli.
»Quatsch!«, beschied sie Joachim ungewohnt deutlich.
Mit einem nachsichtigen Lächeln quittierte Diane die Ratlosigkeit ihrer unwissenden Tischgenossen und setzte bereitwillig zur Aufklärung an.
»Da ich mir dachte, von schönen Dingen sind Sie mit Sicherheit schon reichlich umgeben, und außerdem kannte ich Sie ja noch gar nicht, Helene, habe ich nach etwas gesucht, das jeder brauchen kann: Ich schenke Ihnen ein Stück Frieden.«
»Ah, ja«, machte Helene gedehnt. Sie hatte schon ganz andere Gaben verkraftet.
»Das ist ein Hämatit, ein Halbedelstein, den schon die Ägypter als Friedensbringer verehrten. Auch in Tut Ench Amuns Grabkammer fand sich dieses Mineral. Und wenn Frieden in uns ist, ist er auch in unseren Beziehungen und etwas davon strahlt vielleicht in diese so
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