Schatz, schmeckts dir nicht
deine Kosten gekommen, auch wenn du dich die ganze Zeit um unsere Gäste kümmern musstest.«
»Du weißt doch, dass ich das gerne mache! Und auf meine Kosten komme ich hoffentlich jetzt«, und damit begann sie an seinem linken Ohrläppchen zu knabbern.
»Tut mir leid, dass ich vergaß, dir zu sagen, dass Diane Vegetarierin ist.«
Nein! Bloß jetzt nicht diese Person ins Spiel bringen. »Das ist doch überhaupt nicht wichtig«, log Helene, drehte ihn zu sich um, und verschloss ihm den Mund mit einem prächtigen, warmfeuchten Kuss.
Er überließ sich bereitwillig ihrer Überredungskunst und sie wechselten dann doch von der eiskalten Terrasse ins Schlafzimmer, wo ein köstliches Mahl nach Helenes Geschmack sowieso erst seinen krönenden Abschluss fand. Vegetarismus, Diane, Frieden stiftende Steine – alles Schnee von gestern!
Und doch – Helene schlief ungewohnt unruhig. Im Traum fand sie sich wieder auf Schloss Warthenstein. Erstaunlicherweise hatten ihre Jagdgenossen plötzlich die Lust auf die Jägerei verloren, was Helene einfach nicht in den Kopf wollte. Als sie dann als Einzige einem prächtigen Reh nachstellte, denn schließlich war sie zum Jagen hierher gekommen, verscheuchten die anderen durch lautes Rufen die Beute und machten ihr, wüst grimassierend, bittere Vorwürfe ob ihrer Grausamkeit gegenüber diesem armen, unschuldigen Tier. Doch es blieb nicht bei Beschimpfungen, und man wollte ihr an den Kragen. Helene floh durch ein Labyrinth von einem Schloss, ihre Verfolger hatten sich in Hunde verwandelt und hetzten sie gnadenlos. Sie musste Jan finden, er würde sie beschützen. Doch kaum hatte sie ihn irgendwo erspäht, verschwand er wieder. Ein verzweifelter Sprung in einen gähnenden Abgrund rettete sie schließlich vor der wütend kläffenden Meute, denn bei dem nicht enden wollenden Fall erwachte sie mit klopfendem Herzen. Leise schnarchend lag Jan neben ihr. Sie war in Sicherheit.
Sehr zu ihrem Bedauern konnte Helene trotz der noch frühen Stunde nicht wieder einschlafen. Da ohnehin die Aufräumarbeiten für die vergangene Festivität anstanden, schwang sie sich entschlossen aus dem warmen Bett, zog den Morgenmantel über und schloss leise die Schlafzimmertür hinter sich. Im großen Wohn-Essraum, der an die Küche anschloss, hing noch die Mischung der Gerüche des Abends zuvor: Bratensoße und Rotkohl, Birnengeist und Bobbys Zigarre. Wenn sie auch etwas Rauchen nach einem üppigen Mahl nicht störte, so empfand sie die Nachwehen am nächsten Tag doch als unangenehm. Zum Glück wurden die Raucher immer weniger. Draußen war ein bilderbuchmäßiger Wintertag angebrochen, mit Sonnenschein und blauem Himmel. Helene öffnete die Terrassentür und ließ die frische Morgenluft herein. Dann machte sie sich gleich an die Arbeit, die sie eigentlich recht gerne erledigte. Es war für sie quasi der letzte Akt des kulinarischen Höhenfluges, und alles sollte wieder an seinen Platz, alles wieder gereinigt und zu neuen Taten bereit sein. Während sie so die Spülmaschine aus- und einräumte, Gläser, Geschirr und Besteck sortierte, die Küche von den letzten Spuren säuberte, rekapitulierte sie den vergangenen Abend.
Im Großen und Ganzen hätte sie zufrieden sein können: Alle Speisen waren ihr mehr als gelungen, ihre Gäste hatten sich wohlgefühlt und man hatte sie mit Dank und Komplimenten überhäuft. Ihre Bilanz hatte dennoch einen Makel. Sobald sie den Gedanken daran zuließ, spürte Helene einen bohrenden Ärger in sich. Da konnte man ihr noch so viele Friedenssteine schenken. Diane Blume – allein der Name! Tausend weitere Eigenheiten konnte sie aufzählen, die sie an der Frau nicht mochte: Von ihrem aufdringlichen Duft, über diesen prüfenden, hypnotischen Blick, ihre schulmeisterliche Art zu reden, ihre esoterischen Sprüche, ihre albernen Geschenke, ihre asketische Abgeklärtheit bis zu ihrer gelassen zur Schau gestellten Weisheit.
«Brrr!« Helene schüttelte sich. Und ausgerechnet diese Person hatte es geschafft, über ihre angeblichen fachlichen Qualifikationen Jans Achtung und Sympathie zu erringen. Nein, Helene wollte nicht ungerecht sein, bestimmt war sie beruflich eine Kapazität, denn genau damit musste sie Jan fasziniert haben. Doch wenn sie darüber erst einmal den Zugang gefunden hatte, das wusste Helene allzu genau, war bei ihm auch mit irgendwelchen Nichtigkeiten Wirkung zu erzielen.
Klar war, dass sie sich Jan gegenüber keinesfalls ihre Antipathie anmerken lassen durfte.
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