Schatz, schmeckts dir nicht
Unter Morgenmantel und Nachthemd wurde ihr kalt, nicht nur von der Winterluft, die ins Zimmer geströmt war. Sie schloss die Terrassentür und schob die unangenehmen Gedanken beiseite.
Dass die Neue nicht ihr Typ war, war kein Grund zur Hysterie. Helene wusste, dass ein kühler Kopf und geduldiges Abwarten die wichtigsten Voraussetzungen in dieser Lage waren. Probleme lösten sich nicht von selbst, aber wo ein Wille, da war auch ein Weg. Helene musste an Maria Josefa denken und ihre Stimmung begann sich deutlich zu bessern, wenn auch Diane, was Persönlichkeit und Intelligenz anbetraf, ein ganz anderes Kaliber war.
Maria Josefas Ankunft hatte sich angekündigt durch den Möbelwagen, der vor dem Haus stand, als Helene gerade von Einkäufen zurückkehrte. Mit einer Mischung aus Belustigung und Entsetzen hatte sie registriert, welche verschnörkelten Scheußlichkeiten die Möbelpacker den neuen Mietern in die Wohnung schleppten. Wenige Tage später klingelte Maria Josefa Mayr-Pölten – so war ihr vollständiger Name – an der Wohnungstür: Ein in orientalisch anmutende Gewänder gehülltes Wesen, reichlich mit Schmuck angetan und üppig geschminkt, etwa von Helenes Alter und Größe. Auf dem einen Arm trug sie eine langhaarige, träge blinzelnde Perserkatze und in der anderen Hand einen Teller, auf dem ein prächtiger Napfkuchen unter einem roséfarbenen Zuckerguss thronte. Sie stellte sich als die neue Nachbarin aus der Wohnung unter Helenes vor.
»Ich hab eigentlich grad gar keine Zeit, weil gleich eine Schülerin zu mir kommt, wissen’s. Aber ich wollt Ihnen zum Einstand diesen Guglhupf vorbeibringen, und der ist grad fertig g’worden. Auf gute Nachbarschaft!« Damit drückte sie Helene den Teller mit dem Kuchen in die Hand, und obwohl sie ja eigentlich gar keine Zeit hatte, leierte sie in ihrem österreichisch gefärbten Idiom eine komplette Lebensbeichte herunter. Sie war Sängerin, gerade aus Wien entflohen, da frisch geschieden von ihrem Mucki, den sie immer noch liebte, weshalb sie dringend Tapetenwechsel brauchte. Engagement hatte sie noch keines, hatte dies auch nicht nötig, denn Mucki zahlte gut. Doch ihre Stimme sollte nicht einrosten und deshalb hatte sie sich entschlossen, junge Talente zu fördern und Unterricht zu geben. Deshalb auch die geräumige, repräsentative Wohnung für sie und Othello – so hieß die Perserkatze und war ein Kater.
»Wenn Othello und ich uns erst besser eing’richtet haben, werd ich Sie und Ihren Gemahl einmal zum Nachtessen bitten. Gute Nachbarschaft ist ja so ein wertvolles Gut, net wahr?«
Helene bedankte sich verdutzt für den Gugelhupf, und da man es von unten klingeln hörte, machte sich die neue Hausbewohnerin samt Katze eilig auf den Weg in ihre Wohnung.
Die Einladung ließ gar nicht lange auf sich warten, und das schlichte Abendbrot entpuppte sich als Potpourri von Köstlichkeiten aus der k. und k. österreichischen Küche, deren Klaviatur Maria Josefa perfekter beherrschte als den Flügel, auf dem sie sich zum krönenden Abschluss des Abends selbst begleitete. Puccini. Verdi. Nun ja, eine ganz nette Stimme. Aber da war auch reichlich Resonanzkörper, urteilte Helene nach einem abschätzenden Blick auf die fülligen Hüften und den mächtig wogenden Busen der Künstlerin. Es war spät geworden, vielen Dank und gute Nacht! Hoffentlich sehen wir uns bald wieder! Helene drängte nach Hause.
Jan war begeistert. Helene nicht so sehr. Ihr Atem ging pfeifend. Obwohl ihr seit Langem bekannt war, dass sie unter einer Katzenhaarallergie litt, vergaß sie jedes Mal, ihr Asthmaspray anzuwenden, wenn eine Begegnung mit einem Katzentier bevorstand. Und die Haare von diesem arroganten Othello waren extrascheußlich lang. Sie fühlte es in Ohren, Augen, Nase – überall fühlte sie es kribbeln und jucken. Dass Jan sich von dieser drittklassigen Möchtegerndiva so faszinieren ließ, konnte sie nur mit seiner ländlich-sittlichen Herkunft entschuldigen. Sie wusste nur allzu gut, dass er in mancher Hinsicht leicht zu beeindrucken war.
Maria Josefas Klatsch- und Tratschgeschichten aus der Welt der Oper, ihr opulenter Einrichtungsstil, den Helene einfach geschmacklos fand, ihre mittelmäßigen Sangeskünste und nicht zuletzt ihre Wiener Küche – so etwas gefiel Jan. Das war die Ebene von Rummelplätzen und Wanderzirkussen, die einen exotisch bunten Glanz in seine protestantisch freudlose Kindheit in der kulturellen Wüste der norddeutschen Provinz gebracht
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