Schatz, schmeckts dir nicht
zum Feinschmecker nur sehr zäh vorwärtsging, war Helene sattsam von Janina und Peer bekannt. Ihre beiden Neffen befanden sich noch auf dem untersten Niveau.
Am zweiten Feiertag servierte Helene göttlich zarte, goldbraun gebratene Wiener Schnitzel, mit einem pikanten Kartoffelsalat, der durch Apfel- und Delikatessgurkenscheibchen besonders erfrischte. Endlich einmal herrschte am Tisch friedliche, gefräßige Stille. Sogar die beiden Neffen verlangten nicht nach Marmeladenbrot. Diese Gelegenheit konnte Schwiegermutter Meta nicht ungenutzt verstreichen lassen. »Vor lauter Genusssucht wissen die Menschen heute gar nicht mehr, warum sie eigentlich Weihnachten feiern. Die Festtage werden zu einer einzigen Völlerei! Wo soll das noch hinführen?«
Dabei hatte Helene sich extra für eine vergleichsweise simple Mahlzeit entschieden, im Hinblick auf ihr wenig verwöhntes Publikum und den ordinären Geschmack der Kinder. Nun gut, sie hatte, da dies von der Gans vom Vortag übrig war, als kleine Vorspeise noch Gänseleberscheibchen auf Orangentoast serviert und zum Nachtisch eine Schokoladenspeise vorbereitet, damit auch die lieben Kleinen auf ihre Kosten kämen. Aber alles nichts Weltbewegendes.
Zu ihrem Erstaunen pflichtete Jan, sich schuldbewusst auf den leicht gewölbten Bauch klopfend, seiner Mutter bei. Dass es Zeit würde, wieder zu schlichteren Speisen zurückzukehren und auch weniger Fleisch zu essen, wenn nicht aus religiösen, so aus gesundheitlichen und ökologischen Gründen. Da war er wieder. Der neue Geist, der in Jans Büro eingezogen war, begann sich bemerkbar zu machen.
»Das ist aber gar nicht nett, uns jetzt mit solchen moralischen Vorhaltungen den Appetit zu verderben, nicht wahr, Mutter?«, maulte Helene wie ein kleines Kind, das wirkliche Ausmaß ihres Ärgers untertreibend. Und wie erwartet wischte ihre Mutter in ihrer alles plattmachenden Selbstgefälligkeit sämtliche Argumente Jans und vor allem seiner Mutter vom Tisch, sodass man sich befleißigt fühlte, sofort das Thema zu wechseln, um einen handfesten Streit zu vermeiden.
Dann war Weihnachten vorbei, die Gäste abgereist, der Schnee blieb. Nach langer Zeit schien es wieder einmal einen richtig harten Winter zu geben, mit klirrendem Frost, auch tagsüber, und einer Schneedecke, die sich sogar in der Stadt hielt. In den zahlreichen Parks sah es wunderbar winterlich aus, und von Wannsee bis Tiergarten tummelten sich die Schlittschuhläufer auf den zugefrorenen Gewässern, trotz der Polizei, die unermüdlich vor dem Betreten der Eisflächen warnte. Allerdings war auf den Berliner Straßen das strahlende, reine Weiß nach wenigen Tagen einem schmutzigen Beigegrau gewichen.
Peer war von den Eltern seiner Freundin zum Skifahren nach Österreich eingeladen worden. Janina hatte für den Rest der Ferien Elisa bei sich wohnen, da diese keine Lust gehabt hatte, ihre Eltern und die beiden jüngeren Geschwister in ihr Ferienhaus auf dem Darß zu begleiten. Helene kümmerte sich mit den beiden Mädels, wie versprochen, um den geplanten USA-Aufenthalt. Sie suchten im Internet nach Adressen von professionellen Anbietern und nach Erfahrungsberichten, schrieben Mails, um Informationsmaterial anzufordern, und formulierten erste Bewerbungen. Jan ging später ins Büro als sonst und kam abends zeitig nach Hause. Helene hatte keine größeren Projekte vorzubereiten und empfand diese Tage zwischen den Jahren als eine Art Schwebezustand. Das Leben fühlte sich an wie abgebremst, und ruhig und träge zogen die kurzen Tage vorüber. Wenn sich die Dunkelheit schon früh am Nachmittag über die Stadt legte, konnte man im Lichtschein, der nach draußen auf die Dachterrasse fiel, kalt den hier noch weißen Schnee glitzern sehen, und manchmal gesellten sich Schwaden von neuen Flöckchen dazu. Doch der Kokon aus Wohlgefühl, von dem sich Helene nur allzu gerne umgeben ließ, war diesmal nicht vollkommen. Sie servierte leichte Gerichte. Ohne Fleisch.
Janina und Elisa hatten sich ins Kino verabschiedet, und Helene und Jan saßen bei einem gemütlichen Abendessen zu zweit am blank gescheuerten Küchentisch. Nach langer Zeit wieder einmal unter sich. Sie aßen eine heiße Spinatquiche, deren dünner Teig nur aus Mehl, Butter, Wasser und einer Prise Salz bestand und bei deren saftiger Füllung Muskatnuss und ein kräftiger Gruyère den Geschmack abrundeten. Dazu hatte Helene einen Endiviensalat bereitet, gegen ihre Gewohnheit ohne Speck und Rahm, sondern mit einem
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