Schatz, schmeckts dir nicht
Essig-Öl-Dressing und reichlich sehr fein gehackter Schalotte. Das Ergebnis fand sie als Variante des Gewohnten gar nicht schlecht.
»Möchtest du auch noch ein Glas Tee?«
»Ja, gerne. Mmh, Lenchen, schmeckt das wieder gut heute.«
»Freut mich. Und kommt ganz ohne Fleisch aus.«
Endlich waren sie beim Thema.
»Ja, nicht wahr? Ich denke, es ist gar nicht so schwierig, auf Fleisch zu verzichten, und es hat ja auch viele Vorteile.«
»Welche meinst du?«
»Erst mal die gesundheitlichen: Cholesterin, Harnsäure, zu viel Eiweiß, zu viel Fett.« Es folgte ein vernünftiges und gut fundiertes Plädoyer für vegetarische Lebensweise, über die ökonomischen und ökologischen Folgen der modernen Massentierhaltung, die wahnwitzige Verfütterung von Soja an Tiere statt es für hungernde, arme Länder zu nutzen, den Medikamentenmissbrauch bei Schlachtvieh, über Gülle und Wasserqualität, den gefährdeten Regenwald und, und, und.
»Ich muss dir gestehen, ich bin völlig geplättet! Es gibt doch so viele Gerichte mit Fleisch, die du unheimlich gerne magst! Und du weißt doch, ich kaufe auch nur beste Ware. Ist da irgendwas gänzlich an mir vorübergegangen? Habe ich dich gezwungen, Dinge zu essen, vor denen du dich ekelst?«
»Nein, da kann ich dich beruhigen, Lenchen. Das ist einfach eine Entwicklung. Wenn du es nicht genau zum richtigen Zeitpunkt angesprochen hättest, hätte ich es bestimmt jetzt getan.«
»Seit wann beschäftigst du dich mit solchen Themen? Du bist ja unheimlich gut informiert!«
»Tja, das ist Öko-City. Wenn du an so einem Projekt arbeitest, fängst du einfach an, über vieles nachzudenken, über vieles, was dir bis jetzt vielleicht selbstverständlich erschien. Das ist ja das Faszinierende an dieser Geschichte. Ich fühle mich wie in meine Studentenzeit zurückversetzt: Du beginnst, festgefahrene Gedanken und Verhaltensweisen in Frage zu stellen und kommst zu einer ganz neuen Sicht der Dinge. Du traust dich wieder, an Veränderung zu denken. So etwas kann das ganze Leben verändern.« Jan war in Fahrt. So, so, gleich das ganze Leben verändern.
»Und Frau Blume hilft dir dabei?«
Er bemerkte nicht den ironischen Unterton in Helenes Frage. »Na, nicht nur mir. Diane ist für das ganze Büro schon unentbehrlich geworden. Sie ist Praktikerin durch und durch. Seit mehr als 20 Jahren ist sie in der Ökologiebewegung aktiv. Ob in der Schweiz, in den Staaten oder auf den Kanarischen Inseln, überall wo ökologische Bauansätze entstanden sind, ist sie gewesen. Dank ihres Wissens und ihrer Erfahrung erwerben wir uns jetzt schon bei der Planung eine Glaubwürdigkeit, die unabdingbar ist in Verhandlungen mit späteren Interessenten. Die meisten von denen sind nämlich Menschen, die ernsthaft nach einem natur- und menschengemäßen Gegenentwurf zu unserem Großstadtleben suchen.«
»Da verwandelst du dich also heimlich, still und leise in einen etwas spät berufenen, aber waschechten Öko!«
»Wieso heimlich? Ich hab dir immer von Öko-City erzählt, aber es schien dich nie so arg zu interessieren.«
»Aber sicher interessiert es mich!«, protestierte Helene. »Ich interessiere mich doch für alles, was du tust!« Und das war nicht einmal gelogen.
»Mal ernsthaft. Du kennst mich gut genug, um zu wissen, dass ich kein abgedrehter Spinner bin, sondern eher ein bodenständiger Pragmatiker. Aber manches von diesen esoterischen Geschichten ist im Grunde ganz vernünftig, manchmal auch nur verschüttetes Wissen, das einfach aktiviert werden muss. Und ich finde es geradezu ideal, dass wir jemanden wie Diane haben, der ganz persönlich versucht, eine ganzheitliche Lebensweise zu praktizieren und sich auskennt in Radiästhesie, Feng Shui und solchen Dingen.«
»Ah ja.«
Dagegen hatte Helene ja gar nichts. Schließlich trennte sie auch seit Jahren schon den Müll, kaufte, wo möglich, Mehrwegverpackungen, gab gebrauchte Kleidung und Schuhe zu den Sammelstellen, nutzte Energiesparlampen und verzichtete auf einen Zweitwagen. Das hehre Beispiel vom ganzheitlichen Leben – was auch immer das sein mochte – erweckte in Helene ungute Erinnerungen. Wie damals, als ihr die Großmutter immer Cousine Mathilde, genannt Tilly, vorhielt, die so höflich, so ordentlich war, immer hilfsbereit und so fleißig Klavier übte. Auch jetzt hatte sie das Gefühl, kritisiert und benotet zu werden und dabei schlecht wegzukommen.
Sollte sie von einem Tag auf den anderen Vegetarierin werden, um nicht in Ungnade zu fallen?
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