Schatz, schmeckts dir nicht
Sie dachte an all die Köstlichkeiten, die sich leider nur mit Fleisch kreieren ließen, an seinen Duft, seinen Geschmack, wie es sich anfühlte, auch an die Lust und die Freude, diese Gerichte zuzubereiten: zartes, aromatisches Deichlamm, mit Thymian und Knoblauch zur Vollendung gebracht, einen rustikalen Schweinsbraten mit Kümmelsoße und Knödeln. Oder aber einen Canard à l’Orange – welch unvergleichliches Erlebnis für den Gaumen, wenn sich die bittersüße Orangensauce mit dem einzigartigen Geschmack eines knusprigen, gleichzeitig saftigen Entenschenkels, gekrönt von frisch geschlagener Sahne, verband. Vielleicht auch Kaninchen mit Tomatensauce und Oliven in Vin Santo geschmort, eine kräftige, mediterrane Geschmackskomposition – Letzteres war immer eines von Jans Lieblingsgerichten gewesen.
»Du willst also jetzt vegetarisch leben?«
»Sagen wir mal so: Ich will es versuchen. Seit ich weiß, welche Folgen so ein Stück Fleisch für die Umwelt hat, ist mir der Appetit darauf schon etwas abhanden gekommen, und die logische Folge ist eine vegetarische Lebensweise. Ganz abgesehen von moralischen Kategorien. Es wäre natürlich toll, wenn du mich in dieser Richtung unterstützen würdest. Und für dich dürfte das ja kein Problem sein, denn, ob mit oder ohne Fleisch, du besitzt doch beim Kochen zauberische Fähigkeiten.«
»Schmeichler!« Mit oder ohne Fleisch? Helene hatte sich beim Kochen darüber nie Gedanken gemacht. Natürlich versuchte sie einen abwechslungsreichen Speiseplan zu gestalten, Fleisch bildete nur einen Bestandteil einer Mahlzeit, war nie die Hauptsache. Riesige Fleischberge auf dem Teller zeugten sowieso von einer sehr niederen Esskultur in ihren Augen. Sie hatte ebenso häufig auch fleischlose oder Fischgerichte auf den Tisch gebracht. Krampfhaft versuchte sie sich aller Kreationen ohne Fleisch aus ihrem Repertoire zu erinnern. Und Fisch? Was war überhaupt mit Fisch?
»Und Fisch darfst du jetzt auch nicht mehr essen?«
»Dürfen? Das ist ein falsches Wort!« Jan lächelte. »Diane sagt …«
Helene verdrehte innerlich die Pupillen, bis sie nach hinten schauten, und brachte das Kunststück fertig, dabei interessiert zurückzulächeln.
»Diane sagt, man darf nicht das Gefühl haben, sich etwas zu versagen. Es muss völlig freiwillig passieren. Es soll kein Verbot sein, sondern dein eigener Wunsch, kein Fleisch mehr essen zu wollen.«
»Diesen Wunsch verspüre ich eigentlich nicht. Aber vielleicht kommt das ja noch. Also, was ist nun mit Fisch? Ja oder Nein?«
»Tja, auf Fisch zu verzichten würde mir doch recht schwerfallen. Den Wunsch verspüre ich auch nicht – noch nicht. Also, ich glaube, Fisch möchte ich weiterhin essen.«
»Aber denke doch nur an die treuen Augen eines Herings oder die lebensfrohen Sprünge einer Forelle! Das sind doch auch Lebewesen wie du und ich, von wegen Moral und so.«
»Lenchen, das ist jetzt aber gemein. Fass dich lieber an die eigene Nase, obwohl ich in keiner Weise Einfluss auf deine Ernährungsgewohnheiten nehmen will. Das habe ich auch bei Diane so angenehm empfunden, dass sie so völlig offen, so undogmatisch an die Sache rangeht. Alles andere hätte mich eher abgeschreckt.«
Hatte es also leider nicht. Wie schade.
Okay. Die Bedingungen waren klar. Helene würde den Kampf aufnehmen und sich mit Elan auf die vegetarische Küche schmeißen. Wäre ja gelacht, wenn sie nicht auch da absolute Meisterschaft erreichen würde! Sie würde sich nicht das Heft aus der Hand nehmen und Jan an fremde Fleischtöpfe, pardon Gemüsetöpfe, ziehen lassen.
»Mit dieser Diane scheinst du ja einen richtigen Glücksgriff getan zu haben.«
»Das kannst du laut sagen! Ich bin froh, wenn sie wieder zurück ist.« Mit sich zufrieden drehte Jan sein Teeglas in den Händen.
»Ach, ist sie zurzeit nicht im Büro?« Deswegen arbeitete Jan so auf Sparflamme! Helene hatte sich schon ein bisschen gewundert.
»Sie ist zwischen Weihnachten und Neujahr noch einmal nach Hamburg gefahren, um noch ein paar Dinge wegen ihres Umzuges zu regeln, und ist erst im neuen Jahr wieder da. Übrigens: Wenn es sich vorher nicht ergeben sollte, Mitte Januar wirst du Gelegenheit haben, Diane auch ein bisschen besser kennen zu lernen. Sie will eine Einladung in ihrem Häuschen geben, quasi als Einweihung und Einstand im Büro gleichzeitig. Und bestimmt gibt’s dann für die Gäste vegetarische Spezialitäten.«
»Das ist doch schön!« Schön war vielleicht nicht ganz der richtige
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