Schatz, schmeckts dir nicht
Personal. Die Kellner von der Art aggressiver Arroganz, dass man fast nicht wagte, Auskünfte zur blumig formulierten, aber wenig konkreten Speisekarte zu erbitten. Und wehe, auf die rhetorische Frage, wie man denn zufrieden war, eine negative Antwort zu geben. Dann folgte eine Belehrung, aus der man schließen durfte, dass man einfach keine Ahnung von der elaborierten Cuisine dieses Hauses hatte.
Meist fand Helene auch die Preise überhöht. Gut, die Qualität des Essens war ordentlich, manchmal hervorragend. Doch Kreationen, auf die ein Zwerg Nase stolz gewesen wäre, die einen nie erlebten Genuss dargestellt hätten, wie die unvergleichliche Pastete Souzeraine, hatte sie bisher höchst selten in diesen Etablissements gefunden.
Nicht zuletzt wurde einem der Genuss auch noch durch die dort herrschende Atmosphäre verdorben. Helene fühlte sich immer wie ein Eindringling. Ein Inner Circle, der vom Chef per Handschlag begrüßt und vom Kellner mit Bücklingen verabschiedet wurde, bevölkerte die restlichen Tische. Alle schienen hier Stammgäste zu sein, sie selbst wurde nur gnädig geduldet. Von der Rolle des Gastes hatte sie eigentlich eine andere Vorstellung.
Abgesehen davon, dass sie bei Tonino selbst zu dem Kreis gehörte, der vom Chef überschwänglich begrüßt und zum Tisch geleitet wurde, fand Helene seine Küche, orientiert am einfachen, ursprünglichen Geschmack seiner Heimat Kampanien, immer wieder ausgezeichnet. Nicht mehr modischer Schnickschnack und Zeitgeistfirlefanz als unbedingt nötig, um auch das Nobelpublikum zu bedienen. Beste Zutaten, alles frisch zubereitet – wenn sie hier das Essen lobte, dann aus tiefstem Herzen. Tonino hatte auch eine glückliche Hand in der Auswahl seines Personals, beziehungsweise verstand er es, die Jungs bei Laune zu halten, und hatte seit Jahren eine professionelle, deswegen trotzdem freundliche und aufmerksame Truppe bei sich arbeiten.
Hatte Helene wieder einmal eine nachkochenswerte Spezialität bei ihm genossen, so gab er ihr bereitwillig Auskunft, wenn sie ihm die dazu nötigen Zutaten aufzählte und ihn bat, sie zu korrigieren. Er war beeindruckt von ihrer Kennerschaft und davon, wie selten es vorkam, dass sie einmal einen Bestandteil nicht erschmeckt hatte.
Und schließlich machte es einfach Spaß, ihn zu beobachten und zu erleben, denn Tonino war als Schauspieler mindestens so begabt wie als Koch: Wenn er würdevoll von einem Tisch zum andern schritt, hier seine Honneurs machte, dort eine faltige Hand küsste, verzweifelt seine dunklen Augen rollte, wenn Beschwerden kamen, sich um Vergebung bittend verbeugte und in Selbstanklage auf die Brust schlug. Machten Gäste ihm ein Kompliment für seine Kochkunst, neigte er bescheiden seinen schwarzen Lockenkopf zur Seite, ein mildes Lächeln erschien unter seinem schwarzen Schnauzbart und er bedankte sich mit einem ergriffen geflüsterten »Grazie tante!«. Seine Freude aber schien echt, als er seine alten Stammgäste zur Silvesterfeier begrüßen konnte.
Dieter und Bertram saßen schon am Tisch und Helene ahnte nichts Gutes, als sie sah, dass auch Susanne schon eingetroffen und allein zwischen den beiden platziert war. Gleich nach der Begrüßung erklärte sie denn auch, dass Michael, wenn er es überhaupt schaffen würde, erst später noch zu der Runde dazukäme.
»Ein paar Landsleute machen ein Fest und wollten ihn unbedingt dabei haben. Ich soll ihn entschuldigen und euch schön von ihm grüßen.«
Na ja, wer’s glaubt, wird selig. Als Susanne es tunlichst vermied, ihr ins Gesicht zu sehen, konnte Helene sich schon denken, dass wieder einmal eine heftige Affäre ihrer Freundin ein ebenso heftiges Ende nahm. In den nächsten Wochen würde Susanne viel Zuspruch brauchen.
Nach einem aromatischen Bitter mit einem erfrischenden Spritzer Zitrone als Aperitif, aßen sie sich durch Toninos Köstlichkeiten genüsslich dem neuen Jahr entgegen. Sie unterhielten sich angeregt. Susanne verbarg ihre Nervosität unter einer ausgelassenen Heiterkeit, schielte aber ständig zur Tür und schaute verstohlen auf ihre Armbanduhr. Zwischen der Pasta – einem kräftigen, aber einfachen Gericht aus Fusilli mit Semmelbröseln und Pecorino – und dem Secondo kündigte sie eine Überraschung für Helene an. Alle beteiligten sich am Ratespiel, was die Überraschung wohl sein könnte.
»Vielleicht will sie dir in der Galerie eine Ausstellung deiner besten Menus arrangieren. Die würden zwar nicht lange halten, aber so könnte
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