Schatz, schmeckts dir nicht
perfekt beherrschen, artikulierte sie das Deutsche mit wissenschaftlicher Akribie – Lippen, Gaumen, Zunge, die gleichmäßigen Zahnreihen, Kiefer, Wangen waren emsig damit beschäftigt, die ungewohnten Laute möglichst authentisch klingen zu lassen. Alle Mühe, den amerikanischen Akzent zu unterdrücken, blieb aber vergebens, und der Umgang mit der fremden Sprache glich dem Verzehr einer exotischen Delikatesse.
»Möchtest du eine von diesen absolut phantastischen Samosas oder lieber von Dianes göttlicher Tofuterrine? – Ja, Leute, hier gibt es die tollsten Spezialitäten, alles home made. Was kann ich dir Wundervolles anbieten?«
June erfüllte auch diesen Job mit überbordendem Enthusiasmus, der Helene an die Stimmung auf amerikanischen Wahlkampfpartys erinnerte. Sie selbst stand ziemlich weit hinten in der Schlange. Vor ihr hatten sich zwei Frauen eingereiht, etwa ihres Alters, und Nityam, der Tantraspezialist, hatte es geschafft, sich hinter sie zu drängeln.
»Normalerweise nehme ich um diese Uhrzeit keine Nahrung mehr zu mir und schon gar nicht so raffinierte Leckereien. Aber bei so einem Fest kann man mal eine Ausnahme machen, nicht wahr Helene?« Nityam verzog sein Gesicht zu einem verschwörerischen Lächeln. Helene zuckte mit den Schultern.
»Wir essen meistens erst um diese Uhrzeit.«
»Ah ja?« Nityam wiegte wieder bedeutungsschwer seinen Kopf und schaute sie halb erstaunt, halb mitleidig an.
»Ich bemühe mich, nur Sattwanahrung zu mir zu nehmen, weißt du. Für das, was ich tue, muss ich in meiner Mitte sein, muss mein Kopf ruhig sein. Zu viel Veränderung der Nahrung, zu viele Gewürze belasten den Körper und den Geist. Nur wenn meine Nahrung möglichst naturbelassen ist, kann auch mein Geist frei sein und zur Erleuchtung gelangen. Und glaube mir, das fühlt sich wahnsinnig gut an!«
Er schien von seinem eigenen Wohlgefühl total berauscht. Helene rückte mit den anderen Anstehenden weiter nach vorne und nutzte diese Möglichkeit, sich von ihrem erleuchteten Gesprächspartner abzuwenden. Jetzt konnte sie schon einen Blick in die Küche werfen. Auch hier waren sämtliche Möbel aus gewachstem Holz, der Fußboden bestand aus rötlich glasierten Keramikplatten und die Wände waren schlicht weiß. Ein kräftiges Blau setzte Akzente bei Vorhängen, Geschirrtüchern, einer Sammlung von Keramikkrügen und anderen Accessoires, gerade so viel, dass es nicht verkitscht wirkte. Auffälligstes Küchengerät war eine große, hölzerne Getreidemühle, daneben standen in einem Regal mehrere Gläser, gefüllt mit verschiedenen Getreidesorten. Helene hätte ein paar Pflanzen sehr dekorativ gefunden, doch nur ein Strauß getrockneter Rosen hing an einem Schränkchen.
Glücklich lächelnd kamen, einer nach dem anderen, die bereits versorgten Gäste aus der Küche.
»Das sieht sehr verführerisch aus!« Die beiden Frauen vor Helene schielten begehrlich nach den gefüllten Tellern.
»Das erinnert mich irgendwie an meinen letzten Urlaub!«
»Wo warst du da noch mal?«
»In Umbrien, in diesem umgebauten Kloster.«
»Ach ja, dieses spirituelle Zentrum, wo du deinen Shiatsukurs gemacht hast.«
»Genau. Und da gab’s immer sehr leckeres Essen! Beziehungsweise haben wir ja erst einmal fünf Tage gefastet, um uns für die neue Erfahrung bereit zu machen. Und dann ganz langsam unsere Nahrungsaufnahme wieder aufgebaut. Alles total naturbelassen und möglichst unverändert. Und zum Abschlussabend gab es dann ein unglaubliches vegetarisches Büffet! Wir hatten einen eigenen Gemüsegarten, natürlich biologisch, Schafe und Ziegen und eine eigene Quelle. Dieses Wasser war auch köstlich. Es darf nur zu bestimmten Mondphasen geschöpft werden, erst dann entfaltet sich seine heilende und reinigende Kraft. Ich habe mir ein paar Flaschen mitgenommen, und wenn ich mich so richtig aufgebraucht fühle, dann trinke ich ein Glas und fühle mich gleich irgendwie gereinigt, von dem ganzen Schulstress, der täglichen Hektik, den Umweltbelastungen. Leider ist mein Vorrat jetzt fast alle.«
»Das klingt so gut, was du davon erzählst! Ich müsste so was auch mal wieder machen, diese Großstadt und der Alltagstrott in der Schule machen einen ganz krank, dich nicht auch?« Ihre Gesprächspartnerin seufzte vernehmlich und nickte betrübt mit dem Kopf, während die andere weitererzählte.
»Meine Heilpraktikerin hat mir neulich einen Tipp gegeben. Sie kennt da jemanden, der bietet auf einer alten Finca auf Teneriffa Atemtherapie
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