Schatz, schmeckts dir nicht
aus Leder, Seife aus Knochen, von Pelzen wollen wir gar nicht reden, und weißt du, was du dir alles ins Gesicht und in die Haare schmierst, wenn du konventionelle Kosmetik verwendest?«
Er wollte zum Glück gar nicht wissen, was Helene alles nicht wusste, denn schon zählte er weiter auf: »Da werden Kälberaugen verarbeitet und Vogelfedern, Placentas von den Muttertieren und zermahlene Hufe und Hörner. Und dann testen sie ihre zusammengerührte Scheiße an armen, hilflosen Kaninchen und Ratten. Das ist so was von erbärmlich! Wir Veganer leben eben ohne all das, wofür ein Tier leiden muss, seine Freiheit und Tierwürde hergeben muss – ganz einfach!«
Helene nickte ernst und voll Verständnis, konnte sich allerdings nicht vorstellen, dass das wirklich alles so einfach verzichtbar war, und ging dabei zu dem Brett mit der verlockenden Käseauswahl.
»Abgesehen davon, dass man der Kuh ihre Milch einfach klaut, weißt du eigentlich, dass unschuldige Kälber ihr Leben lassen müssen, damit die Menschen Käse fressen können?« Wie Pfeile, die sie im Rücken treffen sollten, sandte ihr der junge Tierfreund seine Worte hinterher.
»Weil nur der Magen eines noch gesäugten Kalbes die Labflüssigkeit produziert, die diese Kindermörder dann für ihr schmutziges Handwerk missbrauchen!« Er ließ nichts unversucht, Helene vom Käsebrett fernzuhalten, und seine bisher wenig gesprächige Freundin zollte ihm durch maßvolles Kopfnicken Beifall. Die beiden Lehrerinnen, die vor Helene in der Schlange gestanden hatten, betraten die Küche und hatten wohl den Schluss des Vortrages über Kälberlab und Kälbertod noch mitbekommen, denn die eine sagte mit einem entschuldigenden Lächeln:
»Also ich weiß, dass June vorhin sagte, dass mindestens zwei der Käse mit pflanzlichem Lab hergestellt sind. Du kannst sie ja mal fragen welche, wenn du ganz sicher sein willst.«
»Phh!«, machte der Junge nur verächtlich, während Helene sich bei der Frau bedankte, von drei Sorten etwas abschnitt und mit ihrem Teller, auf den sie noch eine Feige und ein paar Trauben legte, möglichst unauffällig den Rückzug, weg von den militanten Veganern, ins Wohnzimmer antrat.
Ihr Platz am Tisch war besetzt. Diane und Jan waren intensiv ins Gespräch vertieft. Natürlich.
So, als ob sie es nie anders vorgehabt hätte, lenkte sie ihre Schritte vom Tisch weg und sah sich nach einem neuen Platz um. Ihr schweifender Blick traf sich mit dem von Felix, der sie schon länger beobachtet zu haben schien, und sie hoffte, er möge ihr kurzes Stutzen nicht bemerkt haben. Er lächelte sie freundlich auffordernd an, sodass sie nicht umhin konnte, das Lächeln zu erwidern und sich neben ihn zu stellen.
»Die Sitzplätze sind heute knapp und begehrt, nicht wahr? Ich speise auch im Stehen.« Er hatte eine wohlklingende Stimme und sprach wie jemand, der es gewohnt ist, viel und öffentlich zu reden, das war ihr bereits vorhin aufgefallen, als er auf Dianes kurze Ansprache geantwortet hatte. Die Stimme klang kräftig und jung, und das weiße Haar und die Falten im gebräunten Gesicht wollten dazu nicht so recht passen. Am erstaunlichsten aber waren seine Augen: Sie waren von einem leuchtenden Türkisblau und schienen einem auf den Grund der Seele schauen zu können, während gleichzeitig ein spöttisches Lächeln um seinen Mund spielte. Sein Alter war undefinierbar. Aber wie alt er auch immer sein mochte, er sah verdammt gut aus – das spürte Helene in ihrer Magengrube!
Wieder musste sie eine Erwartung revidieren: Wie dieser Mann da neben ihr stand, in hellgrauer Flanellhose und einem lässigen Rollkragenpullover, der seiner Augenfarbe haargenau angepasst war, und einen unglaublichen Charme verbreitete, hätte sie ihn niemals Dianes Bekanntenkreis zugeordnet. Unwillig bemerkte sie, dass sie unter seinem meerblauen, klaren Blick verlegen zu werden drohte, und suchte krampfhaft nach einer Esprit versprühenden Antwort. Doch Felix kam ihr zuvor.
»Sie sind Helene, die Frau von Jan. Diane hat mir schon viel von Ihnen erzählt.«
Was kann die schon über mich erzählen, dachte Helene grimmig erstaunt, und bemühte sich um einen lockeren Gesichtsausdruck und die richtige Antwort.
»Und ich weiß, dass Sie ein uralter Freund von Diane sind, der Besitzer dieses Hauses, und dass Sie jetzt für längere Zeit in die USA gehen.«
»Das meiste stimmt, was Sie da sagen. Aber bin ich wirklich schon uralt? Ich fühle mich eigentlich noch voller Energien!« Mit diesen
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