Schatz, schmeckts dir nicht
Wahnsinnsaugen schaute er ihr amüsiert ins Gesicht, und kokettierte nicht schlecht mit seinem jugendlichen Aussehen. Helene drohte zu erröten, deshalb fragte sie schnell:
»Was werden Sie denn so tun da drüben?«
»Im Prinzip das, was ich hier auch mache: Vorträge halten, Seminare veranstalten, Menschen helfen und heilen. June will an der Ostküste ein weiteres spirituelles Zentrum aufbauen und ich werde sie dabei unterstützen.«
»Ah ja. Das klingt interessant.«
»Ich kenne June schon sehr lange, wissen Sie. Als wir uns das erste Mal begegneten, vor fast 20 Jahren, gehörte ihr einer der größten Kosmetikkonzerne in den Staaten. Sie war eine erfolgverwöhnte, steinreiche Geschäftsfrau, hatte den passenden Mann, nette Kinder, war aber todunglücklich und auf dem besten Wege, als Medikamente schluckender Workaholic zu enden. Ihr Mann hatte sie zu einer Europareise überredet, damit sie mal rauskam aus ihrer Mühle. Aber das war so ein Horrortrip ›Europe in ten days‹ – Sie wissen schon: Eiffelturm, Venedig, Hofbräuhaus, Buckingham Palace. Jedenfalls litt June an ständigen, qualvollen Kopfschmerzen, auch schon vor der Reise, und kein Arzt konnte ihr helfen. Einer ihrer deutschen Geschäftspartner, den ich auch schon einmal behandelt hatte, brachte sie dann zu mir, und so haben wir uns kennen gelernt.«
»Sind Sie denn Arzt?«
»Um Gottes Willen!« Felix winkte abwehrend mit den Händen.
»Mit dieser Zunft will ich nichts zu tun haben. Ich helfe den Menschen. Bezeichnen Sie mich einfach als Heiler.«
Helene war nicht ganz klar, was er damit meinte.
»Sie sind so eine Art Heilpraktiker?«
Felix schaute sie belustigt an, ob dieser Art heiteren Berufe-Ratens. »Wenn Sie damit meinen, ob ich die staatlich anerkannte Ausbildung jemals durchlaufen habe, ganz klar: Nein. Ich habe allerdings überall auf der Welt die alten, überlieferten Heilweisen sogenannter primitiver Naturvölker studiert. Denn: Die Ursache einer Krankheit erkennen können ist eine Sache, eine andere, sie auch zu heilen.«
Helene fiel auf, dass Felix vom lockeren Partyplauderton des Öfteren unversehens in einen pastoralen Sprachduktus fiel. Jetzt betrachtete er sie voller Konzentration. »Was fällt uns beispielsweise an Ihnen sogleich auf?«
Sie blickte ihn fragend an.
»Im Großen und Ganzen ist Ihre Aura stark und strahlend. Aber Sie sind ein bisschen blutarm, Ihre Leber könnte mal wieder entgiften. Meiden Sie Alkohol und essen Sie, wenn möglich kein Fleisch mehr. Ich sehe, dass Sie im Alter zu Stoffwechselerkrankungen neigen. Aber Sie haben ein starkes Herz und ebenso einen starken Willen. Vom Sternzeichen her können Sie nur Löwe sein!«
»Ich bin aber Krebs, soweit ich weiß.«
»Dann ist bestimmt Ihr Aszendent Löwe, stimmt’s?«
»Kann sein. Das weiß ich nicht.«
»Das lässt sich ja ganz einfach herausfinden. Geben Sie Diane Tag, Ort und Stunde Ihrer Geburt und Sie wird Ihnen ein erstklassiges Horoskop erstellen. Das ist eine ihrer speziellen Gaben!«
Felix’ Vorschlag, dass sie ausgerechnet Diane zur Erforschung ihrer Sterne ins Vertrauen ziehen sollte, ließ Helene an seinen angedeuteten seherischen Fähigkeiten stark zweifeln. Andererseits fand sie es beruhigend zu wissen, dass er vielleicht ihre Aura, nicht aber ihre Gedanken lesen konnte.
»Danke, gute Idee. Ich werde Diane danach fragen. Aber sagen Sie mir, ist June immer noch in der Kosmetikbranche tätig?«
»Schon lange nicht mehr. Sie hat in dieser Zeit nach unserer ersten Begegnung eine ganz starke persönliche Entwicklung durchgemacht und zu ihrem Weg gefunden. Als Erstes hat sie ihr Unternehmen verkauft und ist mit ihrer Familie nach Indien gezogen. Dort fand sie in einem Ashram ihren Lehrmeister, ließ sich in verschiedenen spirituellen Techniken unterweisen, und gründete schließlich mit Gleichgesinnten eine Gemeinschaft, die inzwischen ein blühendes Gemeinwesen ist, wo biologischer Anbau in ehemaligem Ödland betrieben wird, wo es vorbildhafte Werkstätten für die sonst sehr armen Einheimischen gibt, und wo heute Sinnsuchende aus aller Welt zusammentreffen, um den guten Geist von dort in alle Himmelsrichtungen zu verbreiten. Mittlerweile hat June ein Institut in Kalifornien eingerichtet und jetzt ist die Ostküste dran.«
Wieder einmal musste Helene zugeben, dass sie sich vom Äußeren eines Menschen hatte täuschen lassen. So einen bunten Lebensweg hätte sie der guten June nicht zugeordnet. Sie wechselte das Thema.
»Ihr Häuschen
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