Schatz, schmeckts dir nicht
zu reinigen, musst du dich von allem Ballast lösen. Nur dein Mantra zählt. Und die Bilder, die du schauen wirst, auf der Reise zu deinem Selbst – so etwas hast du nie vorher in deinem Leben gesehen.«
Wenn Ulli sich von Ballast lösen sollte, dann hat die Arme noch einiges zu tun, dachte Helene still bei sich. Die beiden Lehrerinnen, offensichtlich glühende Verehrerinnen des Hausherrn, bestaunten sämtliche Räumlichkeiten voller Ehrfurcht und konnten einen gewissen Neid auf Diane, die ihrem Meister so nah sein durfte, nicht verhehlen.
»Damit wäre die Palastführung auch schon beendet. Auf dem kleinen Boden hier drüber wohnen höchstens noch ein paar Mäuse, und im Keller steht nur eine riesige Eistruhe des vorigen Hausbesitzers, die zwar von niemandem mehr benötigt wird, aber so ein abartiges Monstrum ist, dass wir damals nicht wussten, auf welchem Wege wir sie hinausbefördern sollten. Dann steigen wir jetzt wieder hinab zu den anderen, einverstanden?« Diane wies zur Treppe.
Aus dem Wohnraum erklang jetzt lautere Musik. Die Sphärenklänge waren Trommeln und monotonem Gesang gewichen, und durch die geöffnete Türe sahen sie June und noch ein paar andere Gäste in einem Kreis sich dazu bewegen.
»Das ist ein Sonnentanz aus dem Stammesritual der Crow-Indianer«, erklärte die eine der anderen Lehrerin.
»Du kennst dich aber wirklich gut aus!« Aus der Stimme der Kollegin klang Bewunderung.
»Ich habe mir zufällig vor kurzem auch die CD gekauft.«
»Wo bekommst du denn die ganzen Sachen immer her? Ich habe bisher noch keine richtige Quelle gefunden.«
»Ich bin Kundin beim Esotera World Versand. Wenn du das gerne möchtest, schick ich dir mal den Link. Und wenn du da etwas bestellst, würde ich sogar eine Prämie bekommen. Dann würde ich mir die Pyramide aussuchen. Wenn du etwas unter diese Pyramide legst – sie ist aus Glas und innen hohl – zum Beispiel Lebensmittel, bleiben sie unendlich lange frisch und alle Vitalstoffe bleiben erhalten. Oder du kannst die Wirkung von Heilmitteln verstärken, die Echtheit von Edelmetallen oder Steinen überprüfen, kranke Pflanzen vitalisieren – das ist einfach phantastisch!«
Helene stellte ihre Ohren auf, ob dieser für sie unerhörten Neuigkeiten, während die ebenfalls übersinnlich orientierte Kollegin mehr über Esotera World erfahren wollte.
»Esotera World hat ein unglaublich breites Angebot für spirituell interessierte Menschen. Vor allem natürlich Literatur und CDs, aber zum Beispiel auch tibetische Klangschalen, Tarotkarten, Salzkristalllampen, Räucherwerk, Wünschelruten, Pendel. Lauter interessante Sachen.«
Helene schaute sich mit neuem Interesse die beiden Frauen aus Felix’ Umkreis an. Kleidung und Frisur waren von unauffälliger Gediegenheit, wirkten fast spießig, mit dem Blusenkragen über dem schlichten Wollpullover und den Bügelfaltenhosen zu den Bequemschuhen. Mit ihren umgehängten Handtäschchen und ihrer zurückhaltend gedämpften, aber feinsäuberlich artikulierten Sprechweise, wirkten sie wie Teilnehmerinnen eines kirchlichen Bildungskreises. Jedenfalls überhaupt nicht so, wie sich Helene die Anhänger von Sterndeuterei, Wünschelruten und sonstigem Aberglauben vorstellte.
Die im Wohnraum Tanzenden entsprachen schon eher diesem Bild. Ein Pärchen, das den ganzen Abend stumm auf dem Boden sitzend, ohne eine Miene zu verziehen, die Gesellschaft aus einer Ecke beobachtet hatte, bewegte sich mit geschlossenen Augen und verzücktem Lächeln in mehr oder weniger anmutigen Bewegungen neben June zu den fremdartigen Klängen. Sie waren beide in weiße Saris gehüllt und an Füßen und Köpfen nackt, sprich kahl geschoren wie zwei arme Sünder.
Der enthusiastischen Aufforderung Junes, sich doch auch am Tanz zu beteiligen, wollte erst nur Nityam nachkommen. Doch ohne große Überredungskunst anwenden zu müssen, gelang es ihm, die stets neugierige, sich immer auf der Suche nach Gesprächsstoff für ihr nie ermüdendes Mundwerk befindliche Maike, an den Händen fassend, auch zu den Tanzenden zu ziehen. Bravo! Helene brauchte keine hellseherischen Fähigkeiten, um vorauszusagen, wo und wie Maike ihre nächsten Wochenenden verbringen würde.
Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss und sie gingen schweigend durch die kalte Dunkelheit. Helene war froh, dieser allgemein verbrüdernden Rundtanzerei, zu der sich der Abend schließlich entwickelt hatte, entkommen zu sein.
Sie sah Diane wieder vor sich, wie sie sich, trotz ihrer
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