Schatz, schmeckts dir nicht
beachtlichen Größe, graziös unter dem feinen Stoff ihres fließenden Gewandes zu den ungewohnten Klängen bewegte. Es wirkte weder gekünstelt noch albern. Wie die gut informierte Lehrerin erklärte, handelte es sich um indische Tempeltänze. Von June angefeuert, versuchte Diane nun ihrerseits alle ihre Gäste zum Mitmachen aufzufordern. Sie setzte dafür ihre wallende Haarpracht, ihr gewinnendes Lächeln und zierliche, kunstvoll ausgeführte Handbewegungen ein. Es sah wirklich sehr beeindruckend aus und niemand konnte ihr widerstehen.
Helene kam sich ziemlich komisch vor, wie sie sich mit den anderen im Kreise drehte, angefeuert von den beiden Sariträgern, die nun mit voller Hingabe Zimbel und Tavla schlugen, und monotonen Singsang von sich gaben. Dazwischen das radikale Veganerpärchen und seine beiden räudig aussehenden Köter, die wie Derwische zwischen den Tanzenden herumsausten und ein kakophones Gejaule ertönen ließen, was aber der heiteren Stimmung keinen Abbruch tat. Besonders glücklich guckten die in Selbsterfahrung erfahrenen Lehrerinnen, und die anderen versuchten es ihnen gleich zu tun.
Als es kurz nach Mitternacht war, und einige Gäste sich verabschiedeten, ergriff Helene die Gelegenheit, sich mit Jan dem Aufbruch anzuschließen. Man tauschte mit der Gastgeberin, die sich alle Mühe gab, eine unverzichtbare Freundin der Familie zu werden, gar viele freundliche Komplimente und Schwüre, sich bald wieder einmal in so guter Atmosphäre zusammenzufinden. Ja, ehrlich, das wäre ganz wunderbar!
Diane umarmte ihre Gäste zum Abschied. Und sie verstand es, ihr herzliches »Tschüß, Helene!« auf eine Weise unvollendet in der Luft hängen zu lassen, gönnerhaft und wohlmeinend zugleich, dass Helene sich wie ein ungehobelter Klotz fühlte.
Jan und sie gingen immer noch schweigend nebeneinander. Das war eigentlich nicht das Übliche nach so einem Fest. Nun ja, Jan sagte nie sehr viel, aber normalerweise begann Helene, kaum den Gastgebern entronnen, ihre Betrachtungen über den vergangenen Abend und seine Protagonisten anzustellen, die Räumlichkeiten, die Speisen und Getränke zu bewerten, sämtliche unfrisierte Gedanken herauszulassen, die ihr so durch den Kopf geisterten. Und meist amüsierte sich Jan sogar bei ihren launigen Kommentaren. Heute aber wollte ihr keine unverfängliche Einleitung einfallen.
Die einzige Frage, mit der sie am liebsten herausgeplatzt wäre, war diese: Du wirst doch wohl nicht unsere geplante Spanienreise wegen dieser Frau ins Wasser fallen lassen?
Doch da sie sich Jans absolut logische, völlig emotionsfreie Entgegnung lebhaft vorstellen konnte: Erstens, nicht wegen dieser Frau, sondern aus beruflichen Gründen könnte ich nicht mit dir nach Spanien fahren, und außerdem, zweitens, hatten wir diesen Urlaub bis jetzt keineswegs fest geplant, sondern es war nichts als ein Vorschlag von dir. Schließlich drittens, was spräche dagegen, selbst wenn wir ihn schon geplant hätten, was wir aber nicht haben, ihn zu verschieben, da wir jetzt zum Glück auf die Schulferien nicht mehr angewiesen sind? Dann ist das sogar ein Vorteil, nicht ausgerechnet an Pfingsten zu fahren. Da Helene sich also diese Antwort vorstellen konnte, schnitt sie das Thema gar nicht erst an, sondern überwand sich und versuchte es schließlich doch mit der üblichen Partynachlese.
»Da war ja ein ganz schön buntes Völkchen versammelt bei Diane heute.«
»Ja, interessante Leute, nicht wahr?«
»Wie man’s nimmt. Ich fand sie teilweise – wie soll ich sagen – ziemlich speziell.«
»Ja? Was meinst du? Wer denn zum Beispiel?«
»Na, diese beiden Lehrerinnen, die ihr ganzes Geld zu irgendwelchen Selbsterfahrungskursen tragen, weil sie sonst den Alltag nicht mehr verkraften. Trinken irgendein bei Mondschein geschöpftes Wasser!«, Helene schüttelte den Kopf. »Die denken wahrscheinlich, dass es gegen Falten hilft. Ihr Problem ist im Grunde doch nur das Älterwerden.«
»Da ist doch nichts dagegen einzuwenden. Wenn sie sich dadurch subjektiv besser fühlen. Davon profitieren die Kinder in der Schule, die Frauen nehmen keine Psychopharmaka und tun auf ihre Kosten was für ihre Gesundheit. Ich finde nichts daran, wenn Menschen in unserer hektischen Zeit auf Sinnsuche gehen, und nicht durch ohnmächtigen Konsum versuchen, ihre Probleme zuzuschütten.«
Zwar fand Helene, dass die beiden esoterisch begeisterten Lehrerinnen auch ganz schön wahllos konsumierten, wenn auch auf sehr spezielle Art, doch
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