Schatz, schmeckts dir nicht
er nur verneinend seinen Kopf, wobei er sie nach ihrem Empfinden misstrauisch musterte.
»Wann kann ich sie hier denn mal antreffen?« Helene wollte so schnell nicht aufgeben. Aber nein, sie schaffte es nicht, ihrem Gegenüber ein Wort zu entlocken. Er zuckte nur zutiefst bedauernd mit den Schultern und wendete sich wieder seiner Liste zu. Unerwarteterweise kam Hilfe von der rotwangigen, jungen Frau, die meinte, Elfriede müsse eigentlich bald auftauchen, sie sei nur eine Kiste Milch aus der Kornkammer organisieren gefahren, da Mutter Erde heute wieder zu wenig geliefert habe. Der Sinn dieser Worte blieb Helene zwar dunkel, sie bedankte sich aber für die Auskunft und entschloss sich, zu warten und sich erst einmal umzuschauen.
Schon zwei Wochen waren seit dem Abend bei Diane vergangen. Erst heute hatte Helene es geschafft, ihre Studien zur vegetarischen, naturgemäßen Küche aufzunehmen und zu Elfriedes Laden für Naturfeinkost ›Grün & Köstlich‹ zu fahren. Die Vorbereitungen für die Shakespeare-Premiere verlangten Helenes volle Aufmerksamkeit und Energie, aber vor allem bereiteten sie ihr großes Vergnügen. Erst gestern hatte sie wieder einer Probe, diesmal mit Kostümen, beigewohnt, und sich in einen sonnendurchfluteten, toskanischen Sommertag versetzt gefühlt, fernab von Schmuddelwetter und anderen unangenehmen Erscheinungen des Berliner Alltags. Und eingedenk der Sparappelle des Intendanten, war sie sogleich zu einem ihr bekannten Pflanzenhandel gefahren, hatte die Firma als Sponsor gewonnen, und sah das Theaterbüffet schon vor sich, im üppigen Grün von Buchsbäumchen und Koniferen, mit bunten Bändern geschmückt und kleinen, künstlichen Vögelchen in den Zweigen. Nun, es durfte auch nicht zu kitschig werden, aber ihre Aufgabe erfüllte sie gänzlich und lenkte sie von den häuslichen Irritationen ab. Sie wusste bereits jetzt, dass ihr dieses Werk einen rauschenden Erfolg bescheren würde.
Doch neben der Kür wartete die Pflicht, und so hatte sie sich heute Morgen auf den Weg nach Kreuzberg zu ›Grün & Köstlich‹ gemacht. Im Gegensatz zum Personal machte der Laden von außen einen freundlichen, einladenden Eindruck: Die Fassade war weiß gestrichen, die beiden Schaufenster und die Eingangstür von Naturholzrahmen eingefasst, grünweißgestreifte Markisen, die jetzt eingefahren waren, harmonierten mit der ebenfalls grünweißen Schrift, die darüber angebracht war. Zwei Pflanztröge säumten den Eingang, aus denen im Sommer hier wohl Kletterpflanzen rankten.
Der kleine Laden strahlte etwas Handgemachtes, Uriges aus. Er war nicht übersichtlich und praktisch eingerichtet wie die meisten großen, anonymen Biosupermärkte heutzutage, sondern eher ein bisschen dunkel und liebevoll verkramt. So ein modernes, kühles Ambiente hätte auch gar nicht zu Elfriede gepasst, dachte Helene. ›Grün & Köstlich‹ schien wie ein Überbleibsel aus alten, gemütlicheren Tagen, eine Verbindung aus Tante Emma-Laden und Stehcafé. Hier wurde das Angebot liebevoll präsentiert, in antiken Regalen, mit allerlei hübschen Dekorationen.
Ein ganz eigener Geruch erfüllte den Raum, nach frischem, noch warmem Vollkornbrot, nach den getrockneten Tee- und Würzkräutern, den ätherischen Ölen der lose angebotenen Pflanzenölseifen. Auch die Getreideflocken und Trockenfrüchte in ihren Cellophantüten schienen an der Komposition beteiligt zu sein. Die Note war durchaus nicht unangenehm, doch Helene verband damit immer Begriffe wie gesund, karg und irgendwie genusslos. Aber so sah es hier eigentlich gar nicht aus.
Eine geräumige Glastheke barg eine beachtliche Auswahl zum Teil exotisch aussehender Käsesorten, appetitlich mit Trauben und Feigen dekoriert, daneben ein Angebot rustikal wirkender Wurstsorten und Schinken. Auf dem Tresen standen einige schön geformte Glasgefäße mit eingelegten Oliven, Pilzen, Paprika und anderen Antipasti. In einer kleinen Theke, die sich anschloss, wartete eine ansehnliche Sammlung von Kuchen, Gebäck und kunstvoll verzierten Torten auf Käufer, und in dem hübsch gedrechselten Holzregal dahinter eine breite Auswahl an runden, ovalen und eckigen Broten sowie Körbe mit den verschiedensten Brötchen, Hörnchen und Stangen.
Mehr oder minder unbeachtet von den beiden jungen Leuten, die jetzt von der Diskussion in Anspruch genommen waren, ob sie sich einen Tee oder Kaffee genehmigen sollten und wenn Tee, ob Schwarz oder Kräuter, oder doch einen hochgiftigen, starken Kaffee, schlenderte
Weitere Kostenlose Bücher