Schatzfinder
Oder sie reden über dasselbe und können sich nicht darüber verständigen, weil jeder ein anderes Bild der Wirklichkeit im Kopf hat.
In Trainings, Coachings und Therapiesitzungen gibt es jede Menge beliebter Wahrnehmungsspiele. Beispielsweise das, bei dem zwei Probanden von jeweils der gegenüberliegenden Seite auf einen Gegenstand schauen. Da liegen, sagen wir, ein paar Münzen neben einer Tasse. Der eine sagt: Ich sehe links neben einer Tasse drei Münzen liegen. Der andere sagt unabhängig vom ersten: Rechts neben einem Kaffeebecher sind 5 Euro auf dem Tisch.
Die Wirklichkeit liegt nicht im Objekt, die Wirklichkeit liegt in unserer Betrachtung.
Welcher der beiden hat recht? Weil sie Unterschiedliches sagen, können ja nicht beide recht haben, denn sie schauen ja auf ein und dieselbe Sache, oder? – Doch, natürlich können beide recht haben! Es ist nur eine Frage der Perspektive. Links ist von der anderen Seite aus rechts, ein Becher kann eine Tasse sein, und 5 Euro können zwei 2-Euro-Stücke und ein 1-Euro-Stück sein, also drei Münzen. Aber so beginnen die Missverständnisse, weil wir nämlich glauben, dass das, was wir sehen, die Wirklichkeit sei. Die eine, wahre Wirklichkeit. Es ist aber nur eine Wahrheit unter vielen möglichen Wahrheiten, die unsere Gedanken für uns machen. Die Wirklichkeit liegt nicht im Objekt, die Wirklichkeit liegt in unserer Betrachtung. Wir sollten Dinge als eine Möglichkeit sehen, eine mögliche Möglichkeit.
To see it as a possibility, a possible possibility
. Die Dinge zu registrieren und nicht zu werten. Wir vermischen echte Ergebnisse mit der Meinung darüber. Nicht, was wirklich passiert ist, sondern das, was wir gedacht haben, was passiert ist, bestimmt uns. Unsere Welt besteht aus unserer Meinung über die Welt. Unser Gehirn unterscheidet nicht zwischen gemachten und durchspielten Erfahrungen. Und plötzlich denken wir nicht über das nach, was wirklich passiert ist, sondern über das, was wir gedacht haben, was passiert ist.
Aber Gott sei Dank haben wir den ultimativen Realitäts-Check: unsere Sinne. Sie liefern uns zuverlässig reale Informationen über die wirkliche Welt. Wenn wir diesen gemeinsamen Anker in die Realität nicht hätten, wie sollten wir uns dann über die Welt verständigen, in der wir gemeinsam leben?
Unser Auge beispielsweise ist ein über 500 Millionen Jahre Evolution perfektioniertes Hochleistungsorgan. Es informiert uns über die auf uns treffende elektromagnetische Strahlung, jedenfalls über den Anteil des Strahlungsspektrums, dessen Wellenlänge zwischen etwa 400 und 760 Nanometern liegt. Auf einem kleinen Teil von unter 1 Prozent der Netzhautfläche können wir scharf sehen und die Objekte präzise und trennscharf unterscheiden. Weil wir zwei Augen haben, bekommen wir sogar leicht versetzte, minimal unterschiedliche Bilder der Wirklichkeit, die unser Gehirn analysieren und vergleichen kann, sodass wir die Objekte räumlich einschätzen und Entfernungen zuordnen können. Dazu müssen die Augenbewegungen aber exakt aufeinander abgestimmt sein – und das Verarbeitungszentrum der Informationen muss entsprechend groß dimensioniert sein. Die Leistung, die wir da sensorisch und bildanalytisch alltäglich jede Sekunde vollbringen, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Gut, andere Lebewesen nehmen ein größeres Sichtfeld wahr als wir Menschen, können schärfer sehen oder haben ein bessere Nachtsicht. Aber unser Sehapparat ist ein Allroundsystem für alle Lebenslagen, mit einem Schwerpunkt auf hochpräzises Sehen im Nahbereich. Die Konstruktion aus Hornhaut, Linse, Glaskörper und Kammerwasser bricht das Licht mit großer Genauigkeit und bündelt es auf die Fovea Centralis, die Stelle des schärfsten Sehens. Dabei kann durch Muskelkontraktionen die Linse flacher gezogen werden, sodass die Schärfe je nach Entfernung des Objekts genau eingestellt werden kann.
Das menschliche Auge ist enorm komplex. Seine Konstruktion enthält etliche raffinierte Details. Beispielsweise haben wir eine Art Bildschirmschoner eingebaut: Wenn wir ein Ding fokussieren, bleiben unsere Augen nicht etwa perfekt darauf ausgerichtet. Denn würden die Lichtstrahlen zu lange auf eine Stelle im Auge treffen, könnten die hochempfindlichen Sehzellen überreizen und Schaden nehmen. Stattdessen führt das Auge ständig winzige Blicksprünge aus, sogenannte Mikrosakkaden, und zwar etwa ein- bis dreimal pro Sekunde, ohne dass wir das bemerken.Was für eine clevere Idee vom
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