Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schatzfinder

Schatzfinder

Titel: Schatzfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Scherer
Vom Netzwerk:
verlassen, weil sie nicht mehr genug erkennen konnte. Die Diagnose: Grauer Star.
    Sie erblindete. Als Erwachsene hatte sie durch ihre Kindheitserinnerungen immer noch bildhafte Vorstellungen. Aber trotzdem bewegte sie sich in der Welt wie alle Blinden, indem sie ihre anderen Sinne schulte und verfeinerte. Sie wurde Musiklehrerin und arbeitete an einer normalen Schule mit sehenden Kindern.
    Dann, als sie schon über 50 Jahre alt war, hatte sich die Medizintechnik so weit entwickelt, dass ihr eine Operation nahegelegt wurde, bei der die eingetrübte Linse aus dem Auge entfernt und eine künstliche Linse eingesetzt werden sollte. Als eine der ersten Patientinnen weltweit wurde sie auf diese Weise operiert, und das Wunder gelang. Nach der erfolgreichen OP wurden ihre Augen verbunden.
    Das Gewebe im Auge heilte schnell, der Verband konnte schon nach wenigen Tagen für kurze Zeit abgenommen werden. Und was sie dann sah, verblüffte sie völlig. Sie sah … nichts! Jedenfalls nichts außer merkwürdigen Lichterscheinungen: »Ich weiß nicht, was ich eigentlich erwartet hatte. Vielleicht hatte ich gar nicht gewagt, überhaupt etwas zu erwarten – nur auf etwas gehofft. Was ich sah, war ein helles, waagerechtes Licht, und dann, als ich meinen Kopf nach rechts drehte, sah ich noch mehr helle Lichter, die senkrecht verliefen.«
    Was Judy Taylor in ihrem Erfahrungsbericht
Licht wird mein Tag
schilderte, ist, dass sie das Sehen erst wieder lernen musste, so wie ein Säugling es auch erst lernen muss. Das Sehen ist keine direkte, automatische, rein technische Verbildlichung der Wirklichkeit, sondern ein Prozess des Interpretierens von elektrischen Impulsen, die über den Sehnerv im Gehirn ankommen: »Als ich nach unten blickte, sah ich mehrere ganz helle Streifen, die alle in eine Richtung zeigten. Dazwischen lagen tiefe Schatten. Was konnte das sein, so nah bei mir und doch so fremd, dass ich keinen Namen dafür gewusst hätte? Unwillkürlich bewegte ich meine Hand, und die hellen Streifen verschwanden – ich hatte auf meine eigenen Finger geschaut.«
    Erst die Kombination der Reize, die uns über die verschiedenen Sinneskanäle erreichen, und deren Interpretation und kognitive Verknüpfung macht aus elektrischen Impulsen ein Bild der Welt. Es ist mehr ein Ratespiel als sichere Gewissheit. Auch wenn wir im Alltag so sicher sind, dass wir uns in der realen Welt bewegen, bewegen wir uns in Wahrheit nur in einem ungewissen Bild der Wirklichkeit. Und bewegen wir uns überhaupt?
Ich bin sicher
    In zahlreichen Science-Fiction-Werken und Kinofilmen wird die Vorstellung von Gehirnen thematisiert, deren Bild der Wirklichkeit künstlich via Computer hergestellt wird, indem sie mit entsprechenden elektrischen Impulsen versorgt werden, aus denen sie ihre »Realität« errichten. Das bekannteste Beispiel ist die Trilogie
Matrix
von Lana und Andrew Wachowski. Darin findet der Protagonist Neo, gespielt von Keanu Reeves, mithilfe zweier mysteriöser Hacker nach und nach heraus, dass sein Körper in einer riesigen Zuchtanlage von Maschinen gefangen gehalten wird, während er sich psychisch in der computergenerierten Matrix bewegte, woraus seine sämtlichen Erinnerungen und Erfahrungen bestehen. Es gibt nur noch wenige Menschen außerhalb derMatrix, darunter seine Befreier. Der Kampf um die Realität beginnt …
    Ich will Sie nicht erschüttern, aber für Sie gilt genauso wie für Neo und für mich, dass wir alle nicht wissen können, ob wir nur in Nährflüssigkeit schwimmende Gehirne sind oder ob unser Körper und die ihn umgebende Welt real sind. Und selbst wenn es so wäre, hätten wir keine Möglichkeit herauszufinden, zu welchem Anteil unsere Wirklichkeit wirklich ist.
    Jeder von uns lebt im Gefängnis seines eigenen Gehirns.
    Die Objekte um uns herum, die Ereignisse, die wir erleben, und die scheinbar kontinuierliche Zeit, in der das alles abläuft, sind nichts als Wahrnehmungstäuschungen, behauptete der amerikanische Neuropsychologe Vernon B. Mountcastle 1975 in einem berühmt gewordenen Vortrag. »Jeder von uns lebt im Gefängnis seines eigenen Gehirns«, sagte er, »von diesem gehen Millionen zarter Sinnesnervenfasern aus, die in einzigartiger Weise dafür eingerichtet sind, den energetischen Zustand der Welt ringsum zu sondieren: Wärme, Licht, Kraft und chemische Zusammensetzung. Das ist alles, was wir je direkt von der Welt erfahren. Und aus dieser komplexen Gesamtheit konstruiert jeder von uns seine eigene, sehr persönliche Sicht

Weitere Kostenlose Bücher