Schatzfinder
verlängert vorzustellen. Wohl auch, weil es sich so anfühlt, als würden 300 Leute fürs Heulen bezahlt. Aber das Verblüffende ist, dass nach dem Ausflug in die beklagenswerte eigene Zukunft tatsächlich ein enormes Energiereservoir bereitsteht, mit dem man wunderbar auf die Gegenwart losgelassen werden konnte, um einige prinzipielle Weichen im Leben neu zu stellen. Aus einem Verlust wird oft Trauer, daraus oft Angst, Wut bis hin zur Depression oder Suizid. Das Problem dabei ist, dass wir uns keine Zeit nehmen zu trauern. Wir müssen Trauer zulassen, denn Trauer ist oft die Heilung. Und wenn wir Angst haben, dann müssen wir uns häufig die Frage stellen: Wo hatte ich den einen Verlust, über den ich nicht getrauert habe?
Take care!
Ich wünschte, wir könnten unsere Zusammenbrüche immer schon mental und künstlich im Innern vorwegnehmen, um die Schleichfahrten des Unglücks zu stoppen und uns dabei die echten, in der Außenwelt stattfindenden Zusammenbrüche zu ersparen. Aber auch wenn es wirklich kracht, geht es anschließend oft steil bergauf. Das gilt für Länder wie Deutschland nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs. Oder für Organisationen wie Porsche, kurz bevor Wendelin Wiedeking kam und das Unternehmen vom Kopf auf die Füße stellte. Oder für Städte wie New York nach dem 11. September 2001.
Ich kenne New York vor 2001 und danach, ich bin, so oft es geht, in dieser schönsten aller Städte, ich habe Freunde dort, habe meine Lieblingsecken gefunden und habe mittlerweile viel gesehen, vor und hinter den Kulissen. Ich fand es verblüffend, wie sehr sich New York durch die Terroranschläge auf das World Trade Center verändert hat. Die Menschen nehmen viel mehr aneinander Anteil als zuvor. Früher rannten alle durcheinander,ohne sich umeinander zu scheren. Brach neben dir einer zusammen, dachtest du: Na, was soll’s, der Idiot ist selbst schuld. Heute ist das völlig anders: Die Leute grüßen sich auf der Straße, lächeln sich zu, wenn man in den Bus steigt, helfen einander und fangen sich gegenseitig auf, wenn es ihnen nicht gut geht.
Nein, das ist keine Romantisierung. Fragen Sie einmal einen New Yorker, Sie werden es bestätigt bekommen. Wenn Sie das Gefühl haben, Ihnen würde etwas fehlen, dann werden Sie angesprochen, bevor Sie sich überhaupt im Klaren sind, was Sie brauchen. Einmal war mit meiner Metrocard etwas nicht okay, ich konnte beim Einsteigen in den Bus das Ticket nicht abbuchen. Also suchte ich in meiner Tasche nach Kleingeld. Aber noch bevor ich es draußen hatte, zog einfach ein netter Fahrgast seine Metrocard für mich durch, schenkte mir ein Lächeln und setzte sich hin. Ich wollte ihm mein Kleingeld geben, aber er lachte nur und hob die Hände, nein, er wolle kein Geld, alles sei okay. Take care!
Unternehmen sind Glaubensgemeinschaften.
Ja, Unternehmen sind Glaubensgemeinschaften und Städte auch. Und New York glaubt plötzlich an das Gute im Menschen. Kein Wunder, New York hatte ja auch seinen Zusammenbruch – und die New Yorker erfuhren anschließend in einer beispiellosen Welle der gegenseitigen Solidarität, mit einer unglaublichen Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit, dass sie sich aufeinander verlassen konnten. Die New Yorker haben damals ein enormes Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt.
Wir können uns natürlich nicht bei den Attentätern dafür bedanken. Und wir können auch nicht behaupten, dass der Tod der 2977 Menschen nachträglich irgendeinen Sinn bekommen hätte. Der Blutzoll war viel zu hoch, der Grund für ihre Ermordung viel zu jämmerlich. Niemand hätte sich so eine Katastrophe gewünscht. Aber wir müssen trotzdem mit offenen Augen sehen, dass dieses Ereignis Gutes bewirkt hat, auch wenn das paradox ist. Vielleicht sind durch das veränderte Gemeinschaftsgefühl in den vergangenen zehn Jahren in New York bereits mehr Menschenvor dem Tod gerettet worden, als bei den Anschlägen ums Leben gekommen sind. Und auch das soll kein Trost sein, nur eine Möglichkeit.
Die Wende der Not
Auch bei einzelnen Menschen gibt es diesen verrückten Effekt. Manche Menschen blühen erst so richtig auf, nachdem sie ganz am Boden waren. Die amerikanische Erfolgsautorin Byron Katie beispielsweise war in den siebziger Jahren ein seelisches Wrack. Sie war depressiv, trank, rauchte, war medikamentenabhängig, schlug die Menschen um sich herum und hasste sich selbst. In einer heftigen Krise sperrte sie sich über Wochen in ihrer Wohnung ein, pflegte sich nicht, vermüllte,
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