Schau Dich Nicht Um
Sommer vor mir hatte. Wenn es dann Juni wurde, habe ich immer schon angefangen daran zu denken, daß der Sommer bald vorbei sein und der Winter kommen würde.«
»Und ich hatte immer die Winter am liebsten, weil es dann hier so gemütlich war. Ganz gleich, wie kalt es war, ich brauchte nur hier herauszufahren und ein großes Feuer zu machen, und schon war mir warm und behaglich. Was mehr kann man sich wünschen?«
»Es klingt so einfach.«
»Es braucht auch nicht schwierig zu sein.«
»Kommst du oft mit Trish hierher?« fragte sie.
»Nein, nicht oft.«
»Warum nicht?«
»Ich weiß auch nicht.«
»Liebst du sie?« fragte Jess.
»Ich weiß nicht«, antwortete Don wieder. »Und du?«
»Also ich liebe sie ganz bestimmt nicht.«
Don lächelte. »Du weißt genau, was ich meine. Du hast mir heute morgen eine ganz schöne Überraschung bereitet.«
»Es war nicht so, wie es ausgesehen hat«, versicherte Jess hastig.
»Wie hat es denn ausgesehen?«
»Vermutlich, als hätten wir die Nacht miteinander verbracht.«
»Und war es nicht so?«
»Na ja, genaugenommen schon. Adam hatte etwas zu viel getrunken und ist auf meiner Couch eingeschlafen.«
»Reizend.«
»Aber er ist wirklich ein sehr netter Mann.«
»Sicher, sonst würdest du dich ja nicht für ihn interessieren.«
»Ich weiß gar nicht, ob ich mich überhaupt für ihn interessiere.« Jess fragte sich, ob sie zuviel protestierte.
»Wie lange kennst du ihn schon?«
»Noch nicht lang. Vielleicht einen Monat«, antwortete sie. Vielleicht nicht mal einen Monat, dachte sie.
»Aber er fühlt sich bei dir offenbar wohl genug, um auf deiner Couch seinen Rausch auszuschlafen. Und du fühlst dich offenbar wohl genug mit ihm, um ihm das zu erlauben.«
»Was hätte ich denn sonst tun sollen?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Ich auch nicht«, bekannte Jess.
»Was macht er?«
Jess hörte an Dons Stimme, wie sehr er sich anstrengte, locker zu bleiben, und es rührte sie. »Er ist Verkäufer.«
»Verkäufer?« Er bemühte sich nicht, seine Überraschung zu verbergen. »Was verkauft er denn?«
»Schuhe.« Jess räusperte sich. »Sei jetzt bloß kein Snob, Don«, sagte sie hastig. »Schuhe verkaufen ist schließlich nichts Schlechtes. Mein Vater hat auch als Verkäufer angefangen, wie du weißt.«
»Adam Stohn scheint mir ein wenig alt, um jetzt erst anzufangen«, sagte Don.
»Seine Arbeit macht ihm Spaß.«
»Ah, so sehr, daß er sich sinnlos betrinkt und dann auf deinem Sofa einschläft?«
»Ich wüßte nicht, daß das eine was mit dem anderen zu tun hat.«
»Was glaubst denn du, warum das passiert ist?«
»Einspruch. Hier wird nach einer Schlußfolgerung gefragt.«
»Einspruch abgelehnt. Die Zeugin wird die Frage beantworten.«
»Ich bin nicht verliebt«, stellte Jess fest.
»Die Zeugin ist entlassen«, sagte Don, und Jess neigte dankend den Kopf.
»Und wie geht’s dieser Tage in der renommierten Anwaltskanzlei Rogers, Donaldson, Baker und Shaw zu?« fragte sie und sah Adam Stohn vor sich, wie er ihr an diesem Morgen von der Tür aus zugewinkt hatte, ehe er gegangen war.
»Ganz gut.«
»Das klingt nicht sehr enthusiastisch.«
»Es hat sich allerhand verändert.«
»Tatsächlich? Inwiefern?«
»Na ja, als ich in der Kanzlei angefangen habe, waren wir nur zehn«, erklärte er. »Jetzt sind wir mehr als zweihundert. Das allein ist schon eine Riesenveränderung.«
»Aber du hast doch immer gewollt, daß die Kanzlei sich entwikkelt, daß sie zur größten und zur besten wird«, erinnerte sie ihn.
»Zur besten, ja. Nicht unbedingt zur größten.«
»Ach, größer ist nicht unbedingt gleich besser?«
»Ganz recht. Haben Masters und Johnson dir denn gar nichts beigebracht?«
Sie lachte. »Weißt du, daß die beiden inzwischen geschieden sind?«
»Masters und Johnson?«
»Da bist du schockiert, was?« Jess, die sich fragte, wie sie auf das Thema Sex gekommen waren, starrte zum Fenster hinaus in den ruhigen, stetigen Schneefall. »Und was stört dich außer der Größe noch in der Kanzlei?«
»Es geht viel mehr ums Geld als früher, was heutzutage wahrscheinlich ganz natürlich ist«, begann er. »Im Grunde interessiert sich keiner für irgend etwas, außer, daß er seine Termine vom Tisch bekommt. Ich hab den Eindruck, die ganze Atmosphäre der Kanzlei hat sich im Lauf der Jahre verändert. Und nicht zum Besseren.«
Jess lächelte. Was er in Wahrheit sagte, war, daß die Kanzlei nicht länger seine eigene starke Persönlichkeit
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