Schau Dich Nicht Um
es los, ehe ich überhaupt wußte, wie mir geschah. Sie behaupteten, ich sei zu streng, zu altmodisch, zu naiv. Alles machte ich falsch. Wir lagen uns ständig in den Haaren. Und dann waren sie plötzlich erwachsen, und ich stellte fest, daß ich noch relativ intakt war. Sie fingen an zu studieren und zogen dann einer nach dem anderen aus. Danach habe ich mir einen Hund gekauft. Er liebt mich bedingungslos. Wenn ich weggehe, sitzt er vor der Tür und wartet treu, bis ich komme. Wenn ich nach Hause komme, führt er Freudentänze auf. Er streitet sich nicht mit mir; er
widerspricht mir nicht; in seinen Augen bin ich die Größte. Er ist das Kind, das ich mir immer gewünscht habe.«
Art Koster lachte.
»Vielleicht sollten wir uns einen Hund anschaffen«, sagte Barry und zwinkerte seiner Frau zu.
»Ich vermute, jede Mutter macht Zeiten durch, wo sie sich fragt, wozu das alles«, sagte Maureen.
Und wieder sah Jess das Gesicht ihrer Mutter. Das habe ich nicht nötig, Jess. Das muß ich mir von dir nicht gefallen lassen.
»Ich meine, ich liebe meine Kinder wirklich«, fuhr Maureen fort, »aber es gibt Augenblicke...«
»Da wünschst du, du säßest wieder in deinem Büro?« fragte Jess und sah, wie Barry die Stirn runzelte.
»Da wünsche ich, sie wären ein bißchen ruhiger «, korrigierte Maureen sie.
»Vielleicht sollten wir uns tatsächlich einen Hund zulegen«, sagte Barry.
»Na klar!« rief Jess, »damit Maureen noch mehr zu tun hat.«
»Jess...«, warnte Maureen.
»Sherrys Hund ist wirklich niedlich«, sagte Art Koster schnell. »Ein Zwergpudel. Mit einem wunderschönen roten Fell, eine sehr ungewöhnliche Farbe bei einem Pudel. Als sie mir das erste Mal erzählte, daß sie einen Pudel hat, dachte ich, um Gottes willen nein, mit einer Frau, die so einen Hund hat, will ich nichts zu tun haben. Ich meine, Pudel, das ist doch so ein Klischee.«
»Und dann hat er Casey kennengelernt«, warf.Sherry ein.
»Und dann hab ich Casey kennengelernt.«
»Und es war Liebe auf den ersten Blick.«
»Na ja, eher Liebe auf den ersten Spaziergang«, sagte Art Koster. »Ihr hättet dabeisein sollen, wie ich ihn das erste Mal Gassi geführt habe. Praktisch jeder, an dem wir vorbeikamen, mußte das kleine Biest streicheln. Ich hab in meinem ganzen Leben nicht so viele
Leute an einem einzigen Nachmittag lächeln sehen. Es war ein herrliches Gefühl. Und Pudel sind natürlich sehr klug. Sherry sagt, sie sind die klügsten Hunde überhaupt.«
Jess wollte ihren Ohren nicht trauen. Hielt ihr Vater da tatsächlich einen engagierten Vortrag über einen Zwergpudel?
»Jess hat Tiere immer geliebt«, sagte ihr Vater gerade.
»Tatsächlich? Haben Sie Haustiere?« fragte Sherry.
»Nein«, antwortete Jess.
»Sie hat einen Kanarienvogel«, antwortete Maureen fast im selben Moment.
»Nein«, sagte Jess wieder.
»Was ist denn aus Fred geworden?« fragte Maureen.
»Er ist gestorben. Letzte Woche.«
»Fred ist gestorben?« wiederholte Maureen. »Ach, das tut mir aber leid. War er krank?«
»Woran soll man denn merken, ob ein Kanarienvogel krank ist?« sagte Barry mit einem geringschätzigen Lachen.
»Sprich nicht in diesem Ton mit ihr«, fuhr Jess ihn scharf an.
»Wie bitte?« Barrys Stimme enthielt mehr Überraschung als Zorn.
»In was für einem Ton?« fragte Maureen.
»Kommen die Jungen dieses Jahr zu Weihnachten nach Hause?« fragte Art Koster unvermittelt. Einen Moment lang schien niemand zu wissen, wovon er sprach.
»Ja«, antwortete Sherry ein wenig zu laut, ein wenig zu eifrig. »Jedenfalls ist das das letzte, was ich gehört habe. Aber ganz sicher weiß man es nie. Sie sind imstande, es sich in letzter Minute noch anders zu überlegen.«
»Wo sind denn Ihre Söhne jetzt?« fragte Jess höflich. Lächle, sagte sie sich mit zusammengebissenen Zähnen. Sei nett. Sei höflich. Streite dich nicht herum.
»Warren ist Turnlehrer an einer High School in Rockford. Colin
ist an der Filmschule in New York; er möchte Regisseur werden. Und Michael ist in Wharton.«
»Drei sehr gescheite junge Männer«, sagte Jess’ Vater stolz.
»Maureen hat ihr Diplom in Harvard gemacht«, sagte Jess, ihre soeben gefaßten guten Vorsätze bröckelten schon.
»Hast du sie schon kennengelernt, Dad?« fragte Maureen, als hätte Jess nicht gesprochen.
»Nein, noch nicht«, antwortete Art Koster.
»Ich wollte Sie eigentlich alle zum Weihnachtsessen bei mir einladen«, sagte Sherry. »Dann könnte ich Sie miteinander bekannt
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