Schau Dich Nicht Um
sehr schwer abzuschalten. Im Grunde sind Sie mit dem Prozeß verheiratet, solange er dauert. Oder täusche ich mich da?«
Jess schüttelte den Kopf. »Nein, da täuschen Sie sich nicht.«
»Was hat Ihr Mann beruflich gemacht?« Adam schnitt noch einmal zwei Stück Pizza ab.
Jess lächelte. »Er ist Anwalt.«
»Ich gebe auf.«
Jess lachte. »Und was macht Ihre geschiedene Frau?«
»Sie ist Innenarchitektin. Das letzte, was ich hörte, war, daß sie wieder geheiratet hat.« Adam hob die Hände, als wollte er andeuten, daß er zu diesem Thema nichts mehr zu sagen habe. »Genug von der Vergangenheit. Schauen wir lieber vorwärts.«
»Das ging aber schnell.«
»Es gibt nicht viel zu erzählen.«
»Sie sprechen nicht gern von sich, nicht wahr?«
»So ungern wie Sie.«
Jess starrte ihn ungläubig an. »Wie meinen Sie denn das? Seit wir hier sitzen, habe ich praktisch nur von mir geredet.«
»Sie haben über die Juristerei geredet. Sobald die Fragen etwas persönlicher werden, werden Sie so wortkarg wie ein gegnerischer Zeuge vor Gericht.«
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, sagte Jess, überrascht, sich so leicht durchschaut zu sehen. »Ich erzähle Ihnen meine Geheimnisse nicht, wenn Sie mir Ihre nicht erzählen.«
Adam lächelte. Seine braunen Augen waren unergründlich. »Erzähl mir keine Geheimnisse und ich erzähl dir keine Lügen.«
Seinen Worten folgte ein langes Schweigen.
»Klingt gut«, sagte Jess schließlich.
»Für mich auch.«
Sie aßen weiter, verzehrten den Rest der Pizza schweigend.
»Warum haben Sie mich eigentlich heute abend angerufen?« fragte Jess, nachdem sie ihren leeren Teller weggeschoben hatte.
»Ich wollte Sie gern sehen«, antwortete er. »Warum haben Sie angenommen?«
»Ich wollte Sie wahrscheinlich auch sehen.«
Über den Tisch hinweg lächelten sie einander an.
»Und wie kommt eine ehrgeizige Anwältin wie Sie dazu, mit einem simplen Schuhverkäufer wie mir auszugehen?« Er winkte Carla, um sich die Rechnung bringen zu lassen.
»Ich hab so das Gefühl, daß an Ihnen gar nichts simpel ist.«
»Das kommt daher, daß Sie Anwältin sind. Sie suchen Dinge, die nicht da sind.«
Jess lachte. »Und wie ich hörte, soll es morgen schneien. Da kann ich ein neues Paar Winterstiefel gut gebrauchen.»
»Ich hab genau das Richtige für Sie im Wagen. Kann ich Sie nach Hause fahren?«
Jess zögerte, fragte sich, wovor sie Angst hatte.
Carla kam mit der Rechnung. »Na, war alles in Ordnung? Hat Ihnen die Pizza geschmeckt?« wandte sie sich an Adam.
»Ohne Zweifel die beste Pizza in De Paul.«
Jess sah, wie Adam einen Zwanzig-Dollar-Schein aus der Tasche nahm, erwog, ihm anzubieten, die Kosten zu teilen, überlegte es sich dann anders. Das nächste Mal würde sie bezahlen.
Wenn es ein nächstes Mal gab.
Jess schlief einen tiefen, traumlosen, herrlichen Schlaf, wie er ihr seit Wochen nicht mehr gegönnt gewesen war. Plötzlich war sie hellwach, saß kerzengerade im Bett, und ihre Arme schossen vor, als
fiele sie durch die Luft. Überall um sie herum läuteten Glocken, bimmelten Wecker.
Das Telefon, erkannte sie schließlich, griff über das Bett und hob vorsichtig den Hörer an ihr Ohr. Auf dem Leuchtzifferblatt ihrer Digitaluhr sah sie, daß es drei Uhr morgens war. Um drei Uhr morgens kamen niemals gute Nachrichten, das wußte sie. Nur Tod und Verzweiflung dachten sich nichts dabei, Menschen mitten in der Nacht aus dem Schlaf zu reißen.
»Hallo«, sagte sie so klar und kontrolliert, als hätte sie nur auf das Läuten des Telefons gewartet.
Sie erwartete, die Polizei zu hören oder das Gerichtsmedizinische Institut. Aber es kam ihr nur Schweigen entgegen.
»Hallo?« wiederholte sie. »Hallo, hallo?«
Keine Antwort. Nicht einmal das sprichwörtliche keuchende Atmen.
Sie legte auf, und ihr Kopf sank mit leichtem Aufprall wieder ins Kissen. Nur irgendein armer Irrer, dachte sie, nicht bereit, andere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. »Schlaf weiter«, murmelte sie sich selbst zu. Aber der Schlaf hatte sie verlassen, und sie lag wach, während draußen vor ihrem Schlafzimmerfenster lautlos der Schnee auf die Straße fiel, bis es Zeit zum Aufstehen war.
13
N a, wie ist es eurer Meinung nach heute im großen ganzen gelaufen?« Jess sah über ihren Schreibtisch hinweg Neil Strayhorn und Barbara Cohen an, die beide mit Erkältungen in verschiedenen Entwicklungsstadien kämpften. Neils Erkältung schleppte sich nun schon so lange hin, daß man ihn sich ohne das
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