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Schau Dich Nicht Um

Titel: Schau Dich Nicht Um Kostenlos Bücher Online Lesen
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Männer reden lassen sollen. Um herauszukriegen, was für Interessen der Mann hat. Und dann so zu tun, als hätte man dieselben.« Sie schwieg einen Moment und warf ihm einen scharfen Blick zu. »Oder tun Sie das vielleicht gerade mit mir?«
    »Sie halten sich nicht für interessant?«
    »Nur weil ich die Juristerei faszinierend finde, muß das doch nicht jedem anderen genauso gehen.«
    »Was an der Juristerei fasziniert Sie denn so?«
    Jess legte ihr Stück Pizza auf den Teller und dachte einen Moment ernsthaft über seine Frage nach. Sie wählte ihre Worte mit Bedacht. »Ich vermute, die Tatsache, daß sie so eine komplizierte Angelegenheit ist. Ich meine, die meisten Menschen möchten doch gern glauben, daß es in unserem Rechtssystem um Recht und Unrecht geht, um Gut und Böse, um die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Aber so ist es überhaupt nicht. Reines Schwarz oder Weiß gibt es nicht. Nur unterschiedliche Nuancen von Grau. Beide Seiten verdrehen die Wahrheit und versuchen, sie zum eigenen Vorteil auszunützen. Die traurige Wahrheit ist, daß Wahrheit vor einem Gericht beinahe irrelevant ist.« Sie zuckte die Achseln. »Es kann leicht passieren,
daß ein Anwalt elementare Grundsätze von Ethik und Moral aus den Augen verliert.«
    »Wo ist der Unterschied?«
    »Moral ist etwas in mir«, antwortete Jess. »Ethos, und ich meine jetzt das Berufsethos, wird von außen definiert. Das klingt wohl ziemlich gestelzt, wie?«
    »Es klingt charmant.«
    »Charmant? Ich habe etwas gesagt, das charmant klingt?« Jess lachte.
    »Das wundert Sie?«
    »Ich glaube, ich habe noch nie gehört, daß jemand mich als charmant bezeichnet hat«, antwortete sie aufrichtig.
    »Als was bezeichnet man Sie denn?«
    »Oh... zielstrebig, ernsthaft, zielstrebig, konzentriert, zielstrebig. Zielstrebig höre ich sehr häufig.«
    »Und diese Zielstrebigkeit macht Sie wahrscheinlich zu so einer guten Staatsanwältin.«
    »Wer hat gesagt, daß ich gut bin?«
    »Fragt die Frau, die ihr Examen als Viertbeste bestanden hat.«
    Jess lächelte verlegen. »Ich bin mir nicht so sicher, daß das eine etwas mit dem anderen zu tun hat. Ich meine, man kann Präzedenzfälle und Verfahrenstechnik auswendig lernen, man kann die Gesetzesbücher und Kommentare von vorn bis hinten durchstudieren, aber man braucht einfach ein Gefühl dafür, was das Gesetz eigentlich ist. Es ist ein bißchen wie die Liebe, würde ich sagen.« Sie sah weg. »Eine Frage von Gespenstern und Schatten.«
    »Eine interessante Analogie«, bemerkte Adam. »Ich nehme an, Sie sind geschieden.«
    Jess griff nach ihrem Weinglas, führte es zum Mund, stellte es wieder ab, ohne zu trinken. »Eine interessante Vermutung.«
    »Zwei interessante Menschen«, sagte Adam und berührte ihr Glas mit dem seinen. »Wie lange waren Sie verheiratet?«

    »Vier Jahre.«
    »Und wie lange sind Sie schon geschieden?«
    »Vier Jahre.«
    »Sehr symmetrisch.«
    »Und Sie?«
    »Ich war sechs Jahre verheiratet und bin seit drei Jahren geschieden.«
    »Haben Sie Kinder?«
    Er trank seinen Wein aus, goß den letzten Rest aus der Flasche in sein Glas und schüttelte den Kopf.
    »Bestimmt nicht?« fragte Jess und lachte. »Das war eine sehr bedeutungsvolle Pause.«
    »Keine Kinder«, versicherte er. »Und Sie?«
    »Nein.«
    »Zuviel zu tun?«
    »Selbst noch zu sehr Kind, vermute ich.«
    »Das bezweifle ich«, widersprach er. »Sie sehen aus, als hätten Sie eine sehr alte Seele.«
    Jess verbarg ihr plötzliches Unbehagen hinter einem nervösen Lachen. »Ich brauche wahrscheinlich mehr Schlaf.«
    »Sie brauchen gar nichts. Sie sind eine sehr schöne Frau«, sagte er und konzentrierte plötzlich seine ganze Aufmerksamkeit auf seine Pizza.
    Jess machte es genauso. Ein paar Sekunden lang sprach keiner von beiden.
    »Ich wollte Sie nicht in Verlegenheit bringen«, sagte er, den Blick noch immer auf seinen Teller gerichtet.
    »Ich bin nicht verlegen«, antwortete Jess, die gar nicht hätte sagen können, wie ihr zumute war.
    »Hatte Ihre Scheidung etwas mit Ihrem Beruf als Staatsanwältin zu tun?« fragte Adam unvermittelt.
    »Ich verstehe nicht.«

    »Na ja, ein Staatsanwalt hat doch vermutlich eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Rennpferd. Sie werden auf Klasse getrimmt. Sie hören die Glocke, und schon laufen Sie los. Sie besitzen eine Menge Selbstbewußtsein, und das brauchen Sie auch, weil es dauernd auf dem Spiel steht. Und das schlimmste ist eine Niederlage. Wenn Sie mitten in einem Prozeß sind, ist es doch wohl

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