Schau Dich Nicht Um
gewesen war?
Er hatte jedenfalls einen sehr erfolgreichen ersten Schritt in dieser Richtung getan. Am Mittwoch morgen war er zu seiner eigenen Verteidigung in den Zeugenstand getreten und hatte die wohlbedachten Fragen seines Anwalts bedächtig und überlegt beantwortet. Ja, er neige zum Jähzorn. Ja, er und seine Frau hatten gelegentlich handgreifliche Auseinandersetzungen gehabt. Ja, er hatte ihr einmal das Nasenbein gebrochen und ihr das Auge blau geschlagen. Ja, er hatte ihr gedroht, sie umzubringen, wenn sie je versuchen sollte, ihn zu verlassen.
Aber nein, es war ihm nie wirklich ernst gewesen damit. Nein, er hatte ihr niemals weh tun wollen. Nein, er war gewiß kein gefühlloser, kaltblütiger Killer.
Er habe seine Frau geliebt, sagte er, die blaßblauen Augen auf die Geschworenen gerichtet. Er habe sie immer geliebt. Auch als sie ihn vor seinen Freunden beschimpft und verspottet hatte. Auch als sie sich in blinder Wut auf ihn gestürzt hatte, um ihm die Augen auszukratzen,
und er sich aus reiner Notwehr hatte verteidigen müssen. Auch als sie gedroht hatte, ihm alles zu nehmen, was er besaß. Auch als sie gedroht hatte, seine eigenen Kinder gegen ihn aufzuhetzen.
Er hatte ihr nur einen Schrecken einjagen wollen, als er mitten auf der geschäftigen Straßenkreuzung diesen Pfeil abgefeuert hatte. Er hatte keine Ahnung gehabt, daß sein Schuß tödlich sein würde. Wenn er sie hätte töten wollen, so hätte er eine Schußwaffe benützt. Er hatte mehrere, er war ein geübter Schütze, Pfeil und Bogen hingegen hatte er nicht mehr in der Hand gehabt, seit er als kleiner Junge im Sommerlager gewesen war.
Am Ende seiner Vernehmung war Terry Wales in Tränen aufgelöst, seine Stimme war heiser, sein Gesicht bleich, voll roter Flecken. Sein Anwalt mußte ihm vom Zeugenstand herunterhelfen.
Jess und ihre beiden Mitarbeiter waren die halbe Nacht aufgeblieben. Noch einmal hatten sie die Aussage jedes einzelnen Zeugen überprüft, die Polizeiberichte studiert, um vielleicht etwas zu entdecken, was sie zuvor übersehen hatten, was Jess am nächsten Tag bei ihrem Kreuzverhör Terry Wales’ von Nutzen sein konnte. Nachdem Neil und Barbara niesend und hustend abgezogen waren, hatte Jess den Rest der Nacht im Büro verbracht und war erst am nächsten Morgen um sechs in ihre Wohnung gefahren, um zu duschen und sich umzuziehen.
Aber als sie am Donnerstag morgen in den Gerichtssaal kam, vertagte Richter Harris den Prozeß bis zum folgenden Montag. Der Angeklagte fühlte sich nicht wohl, so schien es, und die Verteidigung hatte eine Vertagung von mehreren Tagen beantragt. Richter Harris hatte dem Antrag stattgegeben und die Sitzung geschlossen. Jess brachte den größten Teil des Tages damit zu, noch einmal mit den Polizeibeamten zu sprechen, die mit dem Fall befaßt waren, um sie zu motivieren, diesen Aufschub zu nutzen und, wenn möglich, zusätzliches Beweismaterial aufzustöbern, das zur Untermauerung der Beweisführung der Anklage dienen konnte.
Am Freitag erhielt sie ihre alljährliche Weihnachtskarte aus dem Zuchthaus. ALLES GUTE FÜR DIE FEIERTAGE, stand in goldenen Lettern darauf. Und unten hieß es, wie von einem guten Freund, Ich denke oft an Sie, Jack.
Jack hatte seine Freundin im Suff ermordet, als er sich mit ihr darüber gestritten hatte, wo er seine Autoschlüssel hingelegt hatte. Jess hatte ihn für zwölf Jahre ins Zuchthaus geschickt. Jack hatte geschworen, er würde sie aufsuchen, sobald er wieder frei war und ihr persönlich für ihre Großzügigkeit danken.
Ich denke oft an Sie. Ich denke oft an Sie.
Am Freitag nachmittag hatte sich Jess über Selbstverteidigungskurse informiert und einen Club in der Clybourn Avenue gefunden, nicht allzuweit von ihrer Wohnung entfernt und direkt an der U-Bahn. Dreimal zwei Stunden am Samstagnachmittag, teilte ihr eine Asiatin mit heller Stimme am Telefon mit. Einhundertachtzig Dollar für den Kurs. Eine Disziplin namens Wen-Do. Sie werde kommen, sagte Jess zu der Frau und dachte wieder an das, was Adam gesagt hatte. War es wirklich der Tod, vor dem sie Angst hatte? Sie sah plötzlich das Gesicht ihrer Mutter vor sich, hörte ihre Mutter mit beruhigender Stimme versichern, es werde schon alles gut werden.
Ich denke oft an Sie. Ich denke oft an Sie.
Dann kam der Samstag, wolkenlos, sonnig und kalt.
Der Unterricht fand in einem alten zweistöckigen Gebäude statt. Wen-Do stand in dicken schwarzen Lettern auf dem Schild über der Tür.
»Bitte geben Sie mir Ihren
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