Schau Dich Nicht Um
geschiedenen Mann«, sagte Jess.
Er machte ein skeptisches Gesicht.
»Doch, wirklich. Sehr gut sogar.«
»Ist das der berühmte Greg? Wie in ›Geh nach Hause, Greg‹?«
Jess lachte. »Nein. Greg Oliver ist ein Kollege. Er hat mich nach Hause gefahren.«
»Sie fahren nicht Auto?«
»Mein Auto hatte einen kleinen Unfall.«
Ein Schimmer von Beunruhigung zeigte sich in Adams Augen.
»Ich hab nicht dringesessen.«
Er schien erleichtert. »Gott sei Dank. Was war das für ein Unfall?«
Jess schüttelte den Kopf. »Darüber möchte ich lieber nicht reden.«
»Uns gehen mit rasender Geschwindigkeit die Gesprächsthemen aus«, konstatierte er.
»Wie meinen Sie das?«
»Na ja, Sie möchten nicht über Ihr Auto reden, nicht über Ihre Mutter, Ihre Schwester, Ihren Schwager, und ich weiß nicht mehr, ob Ihr Vater auch tabu war.«
»Ach so, ich verstehe.«
»Lassen Sie mal sehen. Mit dem geschiedenen Mann scheinen Sie keine Schwierigkeiten zu haben. Vielleicht halten wir uns am besten an ihn. Wie heißt er?«
»Don. Don Shaw.«
»Und er ist Anwalt, und Sie beide sind die dicksten Freunde.«
»Wir sind Freunde, ja.«
»Warum dann die Scheidung?«
»Das ist kompliziert.«
»Und Sie würden lieber nicht darüber reden?«
»Warum haben Sie sich denn scheiden lassen?« konterte Jess.
»Gleichermaßen kompliziert.«
»Wie heißt Ihre geschiedene Frau?«
»Susan.«
»Und sie ist wieder verheiratet, ist von Beruf Innenarchitektin und wohnt in Springfield.«
»Und damit fangen wir an, uns zu wiederholen.« Er schwieg einen Moment. »Ist das alles? Wir kratzen nicht an der Oberfläche?«
»Haben Sie was gegen Oberflächen? Ich dachte, das sei der Grund, weshalb Sie so gern Schuhe verkaufen.«
»Na schön, bleiben wir an der Oberfläche. Dann nennen Sie mir doch gleich mal Ihre Glückszahl, Jess Koster.«
Jess lachte, schob einen Bissen Fleisch in ihren Mund und kaute.
»Ich meine es ernst«, sagte Adam. »Was haben Sie für eine Glückszahl?«
»Ich glaube, ich habe gar keine.«
»Nennen Sie irgendeine Zahl zwischen eins und zehn.«
»Na schön - vier«, sagte sie spontan.
»Warum vier?«
Jess kicherte, kam sich vor wie ein kleines Mädchen. »Wahrscheinlich, weil das die Lieblingszahl meines kleinen Neffen ist. Und es ist seine Lieblingszahl, weil es Bibos Lieblingszahl ist. Bibo ist eine Figur aus der Sesamstraße.«
»Ich weiß, wer Bibo ist.«
»Schuhverkäufer schauen sich die Sesamstraße an?«
»Schuhverkäufer sind eine unberechenbare Bande. Lieblingsfarbe?«
»Darüber habe ich eigentlich noch nie richtig nachgedacht.«
»Dann denken Sie doch jetzt mal darüber nach.«
Jess legte ihre Gabel auf den Tellerrand und sah sich in dem kleinen Lokal um, als suchte sie Inspiration. »Ich weiß nicht genau. Grau, würde ich sagen.«
»Grau?« Er sah sie ungläubig an.
»Ist damit etwas nicht in Ordnung?«
»Jess, kein Mensch hat Grau als Lieblingsfarbe!«
»Ach was? Aber dafür ist es eben meine. Und was ist Ihre?«
»Rot.«
»Das wundert mich nicht.«
»Wieso nicht?«
»Na ja, Rot ist eine starke, kräftige Farbe. Dynamisch. Extravertiert.«
»Und das entspricht Ihrer Meinung nach meiner Persönlichkeit?«
»Tut es das denn nicht?«
»Glauben Sie, daß Grau Ihrer Persönlichkeit entspricht?«
»Das wird ja allmählich komplizierter als meine Scheidung«, rief Jess, und sie lachten beide.
»Wie steht’s mit einem Lieblingslied?«
»Ich hab kein’s. Ehrlich nicht.«
»Es gibt kein Lied, bei dem Sie die Lautstärke aufdrehen, wenn es im Radio kommt?«
»Hm, ja, ich mag diese Arie aus Turandot. Sie wissen schon, die, die der Tenor singt, wenn er allein draußen im Garten ist.«
»Tut mir leid, von Opern hab ich keine Ahnung.«
»Kennt Sesamstraße, aber keine Oper«, stellte Jess fest.
»Und was mögen Sie sonst noch?«
»Ich mag meine Arbeit«, antwortete sie; sie war sich bewußt, wie geschickt er das Gespräch immer wieder von sich selbst ablenkte. »Und ich lese gern, wenn ich Zeit habe.«
»Was lesen Sie denn?«
»Romane.«
»Was für welche?«
»Krimis vor allem. Agatha Christie, Ed McBain, so in der Art.«
»Und was tun Sie sonst noch gern?«
»Ich mache gern Puzzles. Und ich mache gerne lange Spaziergänge am Wasser. Und ich kauf gern Schuhe.«
»Wofür ich dem Schicksal ewig dankbar sein werde«, sagte er mit lachenden Augen. »Und Sie gehen gern ins Kino.«
»Und ich geh gern ins Kino, ja.«
»Und Sie sitzen gern am Gang.«
»Ja.«
»Warum?«
»Warum?«
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