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Scheintot

Scheintot

Titel: Scheintot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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sich auf die Seite, um ihm in die Augen schauen zu können, und sie sah, wie die Lichter der Stadt sich schwach darin spiegelten. Ihr wunderbarer Gabriel. Wie war es möglich, dass sie so viel Glück gehabt hatte? Was hatte sie getan, um ihn zu verdienen? Sie berührte sein Gesicht, strich mit den Fingerspitzen über raue Bartstoppeln. Auch nach sechs Monaten Ehe kam es ihr immer noch wie ein Wunder vor, dass sie ihr Bett mit diesem Mann teilen durfte.
    »Ich will nur, dass alles wieder so ist wie vorher«, sagte sie. »Bevor das alles passiert ist.«
    Er zog sie an sich, und sie roch Seife und warme Haut. Den Duft ihres Mannes. »Gib dir noch etwas Zeit«, sagte er. »Vielleicht brauchst du diese Träume ja. Du musst das Geschehene noch verarbeiten. Dich mit dem Trauma auseinander setzen.«
    »Oder vielleicht muss ich etwas dagegen tun.«
    »Was denn?«
    »Was Olena wollte, das ich tue.«
    Er seufzte. »Du sprichst wieder von diesem Geist.«
    »Sie hat etwas zu mir gesagt. Das habe ich mir nicht eingebildet. Es ist kein Traum, sondern eine Erinnerung an etwas, was wirklich passiert ist.« Sie drehte sich auf den Rücken und starrte in die Dunkelheit. »›Mila weiß Bescheid.‹ Das waren ihre Worte. Das ist es, woran ich mich erinnere.«
    »Mila weiß Bescheid – worüber?«
    Sie sah Gabriel an. »Ich glaube, sie hat von Ashburn gesprochen.«

26
    Als sie die Maschine nach Washington bestiegen, waren Janes Brüste schon schmerzhaft angeschwollen, und ihr Körper verzehrte sich nach der Erleichterung, die nur ein nuckelnder Säugling bringen konnte. Aber Regina war nicht greifbar; ihre Tochter verbrachte den Tag in Angelas kompetenten Händen und genoss in diesem Augenblick vermutlich die überschwänglichen Zärtlichkeiten einer Frau, die tatsächlich etwas von dem Geschäft verstand. Jane blickte aus dem Flugzeugfenster und dachte: Mein Baby ist erst zwei Wochen alt, und schon lasse ich es allein. Ich bin so eine schlechte Mutter. Aber als Boston dann tief unter der startenden Maschine zurückblieb, war es nicht Schuld, die sie empfand, sondern eine plötzliche Leichtigkeit, als hätte sie die Last der Mutterschaft, der schlaflosen Nächte und des stundenlangen Aufundabgehens mit einem Mal abgeworfen. Was ist nur los mit mir, fragte sie sich, dass ich so erleichtert bin, von meinem eigenen Kind getrennt zu sein?
    Schlechte Mutter.
    Gabriels Hand legte sich auf ihre. »Alles okay?«
    »Klar.«
    »Mach dir keine Gedanken. Deine Mutter sorgt so gut für sie.«
    Sie nickte, ohne den Blick vom Fenster zu wenden. Wie konnte sie ihrem eigenen Mann beibringen, dass sein Kind eine miserable Mutter hatte, die heilfroh war, das Haus verlassen und wieder auf Verbrecherjagd gehen zu können? Dass ihr Job ihr so sehr fehlte, dass es schon wehtat, wenn sie sich nur einen Krimi im Fernsehen ansah?
    Ein paar Sitzreihen hinter ihnen begann ein Baby zu schreien, und Janes Brüste pochten, schwer von Milch. Mein Körper bestraft mich, dachte sie, weil ich Regina allein lasse.
    Nachdem sie in Washington von Bord gegangen waren, verzog sie sich als Allererstes in die Damentoilette. Dort setzte sie sich auf den Klodeckel und pumpte ihre Milch in zusammengeknüllte Papiertaschentücher, wobei sie sich fragte, ob Kühe wohl die gleiche selige Erleichterung verspürten, wenn ihre Euter geleert wurden. So eine Verschwendung – aber sie wusste nicht, was sie sonst damit anfangen sollte, als sie auszustreichen und das voll gesogene Papier die Toilette hinunterzuspülen.
    Als sie wieder herauskam, wartete Gabriel am Zeitungskiosk des Flughafens auf sie. »Geht’s dir jetzt besser?«, fragte er.
    »Muuh!«
     
    Detective Eddie Wardlaw von der Polizei Leesburg schien nicht gerade begeistert, sie zu sehen. Er war in den Vierzigern, hatte ein säuerliches Gesicht und Augen, die nie lächelten, auch wenn seine Lippen es versuchten. Jane konnte nicht sagen, ob er müde war oder einfach nur ungehalten über ihren Besuch. Bevor er ihnen die Hand gab, wollte er ihre Dienstausweise sehen, und er nahm sich unverschämt viel Zeit, um sie zu inspizieren, als sei er sich sicher, dass die beiden Betrüger waren. Dann erst schüttelte er ihnen widerwillig die Hand und eskortierte sie am Empfangsschalter vorbei.
    »Ich habe heute Morgen mit Detective Moore gesprochen«, sagte er, während er sie bedächtigen Schrittes einen Flur entlangführte.
    »Wir haben ihm gesagt, dass wir hierher fliegen würden, um Sie zu sprechen«, sagte Jane.
    »Er sagte, Sie

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