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Scherben der Ehre

Scherben der Ehre

Titel: Scherben der Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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umgebracht – ich schwöre, er hatte das nie geplant – und die Frau hätte sich aus Verzweiflung getötet. Niemand stellte ihm auch nur eine Frage.«
    Seine Stimme wurde langsamer und eindringlicher. »Er ging durch diesen ganzen Nachmittag wie ein Schlafwandler oder ein Schauspieler, sagte die Sätze, die man von ihm erwartete, vollführte die erwarteten Bewegungen, und am Ende stand seine Ehre nicht besser da. Keiner Sache war damit gedient, kein Punkt war bewiesen. Es war alles so falsch wie ihre Liebesaffären, außer den beiden Toten. Die waren echt.« Er machte eine Pause.
    »Also sehen Sie, ihr Betaner habt einen Vorteil. Ihr erlaubt einander wenigstens aus euren Fehlern zu lernen.«
    »Es tut mir – leid, für Ihren Freund. Ist das sehr lange her?«
    »Einige Zeit. Über zwanzig Jahre. Man sagt, dass senile Menschen Dinge aus ihrer Jugend deutlicher erinnern als Ereignisse der letzten Woche. Vielleicht wird er senil.«
    »Ich verstehe.« Sie nahm die Geschichte auf wie ein seltsames, stachliges Geschenk: zu zerbrechlich, um es fallen zu lassen, zu schmerzlich, um es in der Hand zu halten. Er legte sich zurück und schwieg wieder, sie machte sich zu einem weiteren Rundgang um die Lichtung auf und lauschte am Rand des Waldes einem Schweigen, das so tief war, dass das Rauschen des Blutes in ihren Ohren es zu übertönen schien. Als sie ihre Runde vollendet hatte, war Vorkosigan eingeschlafen, ruhelos und zitternd in seinem Fieber. Sie klaute Dubauer eine der halb verbrannten Bettrollen und deckte Vorkosigan damit zu.

 
Kapitel 4
     
    Vorkosigan wachte ungefähr drei Stunden vor der Morgendämmerung auf und veranlasste sie, sich hinzulegen, damit sie noch ein paar Stunden Schlaf bekäme.
    In der grauen Stunde vor Sonnenaufgang weckte er sie wieder. Er hatte offensichtlich im Fluss gebadet und das Einmalpäckchen von Enthaarungsmittel benutzt, das er in seinem Gürtel aufgehoben hatte, um den juckenden Viertagesbart aus seinem Gesicht zu entfernen.
    »Ich brauche etwas Hilfe mit diesem Bein. Ich möchte es öffnen und drainieren und dann wieder zudecken. Das wird bis heute Nachmittag halten, und danach spielt es keine Rolle mehr.«
    »In Ordnung.«
    Vorkosigan streifte Stiefel und Socken ab, und Cordelia ließ ihn sein Bein unter einen Wasserstrahl halten, der am Rand des Wasserfalls herabschoss.
    Sie wusch sein Kampfmesser ab und öffnete dann mit einem tiefen, schnellen Schnitt die dick geschwollene Wunde. Vorkosigan wurde weiß um die Lippen, aber er sagte nichts. Es war Cordelia, die zusammenzuckte.
    Aus dem Schnitt quollen Blut und Eiter und übelriechendes verklumptes Gewebe, und der Fluss wusch alles weg. Sie versuchte nicht daran zu denken, welche neuen Mikroben sie mit dieser Prozedur einschleppen mochten. Das Ganze sollte nur eine vorübergehende Linderung gewähren.
    Sie bestrich die Wunde mit dem Rest seines ziemlich wirkungslosen Antibiotikums und kratzte die Tube mit Plastikverband leer, um die Wunde abzudecken.
    »Es fühlt sich besser an.« Aber Vorkosigan stolperte und fiel fast hin, als er versuchte, normal zu gehen. »Okay«, sagte er, »der Augenblick ist gekommen.« Zeremoniell holte er den letzten Schmerzkiller und eine kleine blaue Pille aus seinem Erste-Hilfe-Beutel, schluckte sie und warf die leere Schachtel weg. Cordelia hob sie leicht geistesabwesend auf, fand keinen Platz, wohin sie sie hätte tun sollen, und ließ sie verstohlen wieder fallen.
    »Diese Dinger funktionieren großartig«, sagte er ihr, »bis ihre Wirkung zu Ende geht; dann fällt man hin wie eine Marionette mit abgeschnittenen Schnüren. Jetzt halte ich etwa sechzehn Stunden durch.«
    Als sie mit den Feldrationen fertig waren und Dubauer für den Tagesmarsch vorbereitet hatten, sah Vorkosigan tatsächlich nicht nur normal aus, sondern frisch und ausgeruht und voller Energie. Keiner von beiden knüpfte an das Gespräch der vergangenen Nacht an.
    Er führte sie in einem weiten Bogen um den Fuß des Berges herum, so dass sie sich gegen Mittag der Kraterseite fast genau von Westen näherten. Sie bahnten sich ihren Weg durch Wälder und Lichtungen zu einem Bergsporn, der sich gegenüber einer großen Mulde erhob und das letzte Überbleibsel eines niedrigeren Bergrückens aus den Tagen vor einer urzeitlichen Vulkankatastrophe war. Vorkosigan robbte auf einen baumlosen Vorsprung hinaus und achtete darauf, sich nicht über dem hohen Gras zu zeigen. Dubauer, schwach und erschöpft, rollte sich in ihrem Versteck auf der

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