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Scherbenherz - Roman

Scherbenherz - Roman

Titel: Scherbenherz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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alles verpulvert, in den Wind geschossen!«, hatte sie kichernd erklärt. »Hätten wir uns sparen können!« Und Charlotte hatte mitgelacht und insgeheim überlegt, dass sie in tiefe Depression verfiele, würde ihre Hochzeitsnacht in einem derartigen Absturz enden.
    Für Charlotte war Sex zu einer Art Wertmaßstab ihrer selbst geworden. Vor Gabriel hatte sie von Männern kaum einmal ein Kompliment über ihr Aussehen zu hören bekommen. Charlotte gehörte offenbar nicht zu den Frauen, die Schmeicheleien geradezu herausforderten. Über den Grund hierfür war sie sich allerdings nie im Klaren gewesen. Einmal hatte sie einen Freund diesbezüglich zur Rede gestellt, und der antwortete ohne Zögern oder den Funken von Ironie: »Aber, Charl, du bist doch so tüchtig, so intelligent!«
    »Tüchtig?« Sie zog eine Grimasse. »Besten Dank für die Blumen!«
    »Ich meine, ich hätte nie gedacht, dass du auf so was scharf bist.«
    Sie dachte einen Moment darüber nach. Es war ihr schleierhaft, wie sie nach außen derartig selbstsicher wirken konnte, wo sie sich doch in Wirklichkeit ganz anders fühlte.
    »Jede Frau möchte hören, dass sie hübsch ist«, antwortete sie leise.
    »Aber das bist du.«
    »Was bin ich?«
    Er seufzte. »Hübsch«, erwiderte er, ohne den Blick von der Zeitung zu wenden, hinter der er sich verschanzt hatte.
    So war es immer gewesen. Charlotte hatte nie um ein Kompliment gebettelt – letztendlich erschien ihr das zu armselig, zu trivial, um von Bedeutung zu sein –, und dennoch hatte sie sich insgeheim nach Worten verzehrt, die ihr sagten, wie begehrenswert sie sei. Vielleicht, überlegte sie, glaubten diese nur widerwillig Emotionen zeigenden Männer, es sei blödsinnig, das Offensichtliche laut auszusprechen.
    Sie erinnerte sich, als Kind in Tränen ausgebrochen zu sein, wenn sie ein Zeugnis nach Hause gebracht hatte, in dem es vor Einsern und hervorragenden Beurteilungen nur so wimmelte. Ihre Mutter hatte diese Zeugnisse stets gelesen, genickt und sie dann wortlos an Charlotte zurückgegeben. Die Tränen der Tochter schienen sie zu überraschen.
    »Was ist los?«
    Es gelang Charlotte selten, sich über ihre Gefühle klar zu werden, sie auszudrücken, die passenden, aufrichtigen Worte dafür zu finden. Aber diesmal wusste sie, was sie zu sagen hatte.
    »Du lobst mich nie«, antwortete sie. Die Stimme versagte ihr. Sie musste mitten im Satz erstickt innehalten und tief Luft holen, um fortzufahren: »Nicht mal, wenn ich nur Einser kriege. Meine Lehrer loben mich mehr als du.«
    Anne zog kaum merklich die Augenbrauen hoch, und auf ihrer Stirn stand eine horizontale Falte. Im ersten Moment schien es ihr die Sprache zu verschlagen. »Charlotte, du machst das alles immer absolut perfekt … Vermutlich erwarte ich deshalb nichts anderes von dir. Außerdem weiß ich, dass deine Lehrer große Stücke auf dich halten … Und das sagen sie dir doch bestimmt auch. Da musst du es nicht auch noch von mir hören.« Sie nahm Charlottes Hand – unbeholfen, denn Charlotte hatte sie zur Faust geballt. Anne musste erst die vor Frust verkrampften Finger ihrer Tochter lösen. »Ich weiß einfach, wie klug du bist«, fügte sie sanft hinzu.
    Ihre Erfolge mochten zwar für ihre Mutter selbstverständlich sein, dennoch sehnte sich Charlotte danach, es auch gesagt zu bekommen. Und obwohl sie in diesem Bedürfnis nach Lob eine Schwäche erkannte, brauchte sie die Anerkennung.
    Ähnlich erging es ihr mit ihrem Aussehen. Natürlich wusste sie, dass sie hübsch war. Schließlich gab es flüchtige Momente, da sie bei objektiver, prüfender Betrachtung ihres Spiegelbilds feststellte, dass die Züge und Proportionen ihres Gesichts und seiner einzelnen Partien ein harmonisches, attraktives Bild ergaben – die leicht nach oben weisende Stubsnase, der Hauch von Sommersprossen, das dunkelbraune Haar, das Friseure als ungewöhnlich dick und voll bezeichneten, die leuchtend blauen Augen, die ihr, wie Freunde behaupteten, ein etwas nordisches Aussehen verliehen. Aber all das waren sachliche Komponenten: Die Beweise waren sichtbar, sie konnte rationale Schlüsse daraus ziehen und rein intellektuell verstehen, dass Gabriel sie liebte. Es zu fühlen – es ohne logische Schlussfolgerungen einfach zu wissen – stand wiederum auf einem ganz anderen Blatt. Sie fühlte sich nicht schön. Sie wollte es von anderen hören, wollte, dass man es in einfache, unmissverständliche Worte kleidete und es ihr sagte. Hatte jemand Sex mit ihr, so

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