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Scherbenherz - Roman

Scherbenherz - Roman

Titel: Scherbenherz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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wolle.
    Anne wartete noch ein paar Minuten, dann kehrte sie zu ihrem Platz zurück. Den Rest der Zugfahrt sagte sie kein Wort.

Charlotte
    L iebst du mich denn nicht?«
    »Natürlich liebe ich dich.« Charlotte rollte sich unter der Bettdecke von ihm weg. Sie blieb auf der Seite liegen, stumm und fröstelnd, zog die Knie an, hielt sie mit den Armen vor der Brust umschlungen, drückte sie fest an sich; wollte sich klein machen, nahm automatisch eine Schutzhaltung ein. Sie schloss die Augen und wünschte, sich in Luft auflösen zu können.
    Gabriel neben ihr bewegte sich. Sie spürte, dass er den Kopf auf einen Arm stützte, erriet sein verdutztes Stirnrunzeln, die kaum merkliche Falte über der Nasenwurzel, wenn er keine Brille trug. Sie wusste, er war verwirrt und gereizt. Trotzdem fehlte ihr die Kraft, ihm da rauszuhelfen, ihm zu sagen, weshalb, zu erklären, was nicht zu erklären war. Gabriel seufzte hörbar, schwang offenbar die Beine über die Bettkante auf den Fußboden, stand auf und ging polternd zur Toilette. Die Klinke der Schlafzimmertür quietschte, wie sie es immer tat, wenn man sie zu kräftig niederdrückte.
    Charlotte fiel in einen leichten Schlaf, schreckte jedoch hoch, als Gabriels Gewicht die Matratze auf der anderen Seite eindrückte. Er drehte sich zu ihr um und legte seine Hand zärtlich um ihre rechte Schulter, zog sie so weit an sich, dass sie gezwungen war, ihn anzusehen. Es war ihm anzusehen, welche widerstreitenden Gefühle in ihm arbeiteten: Frust, Zärtlichkeit und das Bemühen, die gegensätzlichen Emotionen vor ihr zu verbergen, was letztendlich dazu führte, dass ihm der Versuch eines Lächelns zur Grimasse verunglückte. Charlotte fühlte, wie es heiß in ihr aufstieg. Sie küsste ihn auf die Nasenspitze.
    »Verzeih mir.«
    Er streichelte ihr übers Haar. »Ich versteh’s nur nicht. Wäre vermutlich einfacher für mich, wenn du’s mir erklären könntest.«
    Sie schwieg.
    »Wir sind jetzt seit fast einem Jahr zusammen. Ich liebe dich mehr als alles auf der Welt. Und du hast so getan, als fühltest du dasselbe für mich, also …«
    »Ich fühle dasselbe.«
    »Und soweit ich es beurteilen kann, bist du inzwischen keine Nonne geworden – es sei denn, du verstellst dich gut.«
    Charlotte lachte und kuschelte sich an seine Schulter. Sie hörte das Pochen seines Herzens und stellte sich vor, wie es Blut in seine sauberen, reinen Adern pumpte. Das Bild war irgendwie tröstlich, gab ihr seltsamerweise Sicherheit. Er schien so stark, so vollkommen, ohne Fehl und Tadel zu sein.
    »Stimmt vielleicht mit mir was nicht?«
    »Unsinn, natürlich nicht!«, protestierte Charlotte leise, das Gesicht in seinen Brusthaaren.
    »Aber welche Erklärung sollte es sonst dafür geben, dass du keinen Sex mit mir haben willst?«
    Charlotte rutschte in Richtung Wand, außerhalb seiner Reichweite. Er hatte es also gesagt. Die Tatsache, dass es ausgesprochen worden war, hatte etwas Reales und Endgültiges, etwas, das sie hatte vermeiden wollen. Sie hatte geglaubt, wenn sie beide wortlos darüber hinwegsehen würden, könnten sie weitermachen wie bisher. Alle Paare machten derartige »enthaltsame« Phasen durch, oder?
    Charlotte fiel eine Unterhaltung mit ihrer frisch verheirateten Freundin Susie ein. Sie hatte ihr gestanden, dass sie und ihr Bräutigam nicht in der Lange gewesen wären, in der Hochzeitsnacht miteinander zu schlafen. Sie hatten die Hochzeitssuite in einem nahegelegenen Wellness-Hotel gebucht, das Personal hatte rührenderweise Rosenblütenblätter über das riesige herzförmige Bett gestreut. In einem Sektkühler stand eine Flasche Champagner. Einige Wochen zuvor hatte Susie fast zwei Stunden lang in einem luxuriösen Dessousgeschäft in der Londoner City passende Unterwäsche ausgesucht. Das Personal war mit Maßband, frischer Ananas und vollen Weißweingläsern um sie herumgetänzelt, bis sie kapituliert und eine absurd teure Dessous-Kombination gekauft hatte, eine verwirrende Kreation aus Bändern, Schnüren und elfenbeinfarbenem Satin mit geschickt platzierten Auspolsterungen, die, wie die Verkäufer ihr zuflüsterten, »Ihrem Mann klarmachen, was für ein Glückspilz er ist«.
    Und dann, nach all diesem Aufwand, waren die beiden so erschöpft, so beschwipst und durch den ganzen Stress so müde gewesen, dass sie einfach eingeschlafen waren, ohne sich überhaupt zu berühren. Charlotte erinnerte sich, dass Susie ihr das kurz nach der Hochzeit vor Lachen prustend erzählt hatte.
    »Ich meine,

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