Schicksal aus zweiter Hand
sondern Frank Gerholdt … der Millionär und Industrielle vom Rhein, der nichts war als ein Glücksritter und ein Spieler, der bisher für seine Einsätze die höchsten Gewinne bekommen und mehrmals die Bank des Schicksals gesprengt hatte.
Er trat an das Klingelbrett heran. Neben der Schelle des dritten Stockwerkes war ein Pappschildchen an das Holz geklebt. F. v. Buckow, cand. nat.
Lange starrte Gerholdt auf den Namen, den er vergessen wollte. Lange brauchte er, bis seine Fingerspitze den weißen Klingelknopf berührte und hinabdrückte.
Der elektrische Türöffner schnurrte. Er drückte die Haustür auf … von oben wurde das Treppenlicht eingeschaltet. Das Knacken des Lichtautomaten war für Gerholdt wie ein Schuß … er zuckte zusammen und setzte zögernd den Fuß auf die erste Treppenstufe.
Ich habe nie Angst gehabt, durchfuhr es ihn. Bei dem Raub nicht, bei Dr. Werner nicht, bei den Nazis nicht, nicht bei den Russen und Engländern … aber heute, verdammt, Frank Gerholdt, heute schlägt dir das Herz in der Kehle und zittern deine Hände. Und feucht sind sie, widerlich feucht.
Er rieb die Handflächen an seinen Hosen trocken, während er zögernd die Treppen hinaufging. Auf dem Absatz vor der Wohnungstür stand ein großer, schlanker, blonder Mann und sah ihm erstaunt entgegen.
Gerholdts Herz zuckte krampfartig.
Diese blonden Haare … auch Frau v. Buckow hatte sie.
Diese blauen Augen … Es sind ja Ritas Augen! Mein Gott, o mein Gott … wenn er in den Spiegel blicken würde, ganz, ganz genau, so müßte er doch sehen, daß er Ritas Augen hat!
Und das Gesicht. Dieses lange, schmale nordische Gesicht … – Gerholdt seufzte.
»Bitte?« fragte Fred v. Buckow. »Sie wollen zu mir?«
»Ja.« Gerholdts Stimme war heiser, klanglos, zusammengeschnürt von der Erregung. »Herr v. Buckow?« Er stellte diese unnötige Frage, um den Klang des Namens aus seinem Mund zu hören. Er schauderte dabei. Es gibt ein Gewissen, dachte er. Wirklich, es gibt ein Gewissen … Was bin ich für ein Stümper unter den Verbrechern, daß ich ein Gewissen habe!
»Das bin ich«, antwortete der junge Mann. »Sie kommen auf Empfehlung des Studentendienstes?«
»Studentendienst?«
»Kommilitone Franzen sagte mir gestern, er habe Arbeit für mich. Adressenschreiben! Zehntausend Stück … Stück zwei Pfennig. Ich könnte das Geld gut gebrauchen, sehr gut sogar … aber ich stehe im Examen, da habe ich leider keine Zeit.« Er lächelte verzeihend und schob die Wohnungstür auf. »Aber kommen Sie doch herein … Ich lasse Sie einfach auf dem Flur stehen. Wirklich, ich bin unhöflich. Aber Ihr Klingeln hat mich gerade aus einem theoretischen Experiment gerissen, und ich bin noch nicht ganz da …« Er tippte sich an die Stirn und lachte jungenhaft. »Bitte, kommen Sie 'rein.«
Gerholdt betrat den dunklen Flur, von dem die einzelnen Zimmer abgingen. Sicherlich eine Art Studentenpension. Er zählte neun Türen. Hinter ihm verriegelte Fred v. Buckow mit einer Kette die Tür.
»Bitte.«
Die dritte Tür neben dem Eingang. Ein kleines, sauberes Zimmer. Ein Bett, ein großer Tisch, drei Regale voller Bücher, ein Kleiderschrank, ein kleiner, chemischer Experimentierkasten, aufgeklappt und aufgebaut am Fenster. Neben dem Bett auf dem Nachttisch eine Blume. Eine Pelargonie. Blutrot. Mit einer weißen Manschette um den Tontopf. Und Gerholdt wußte, als er die Blume ansah, daß sie von Rita war. Ein kleines Geschenk an den geliebten Mann, der ihr Bruder war …
Gerholdt setzte sich auf einen Stuhl und starrte auf die schönen roten Blüten. Hinter sich hörte er Klappern und Klirren. Fred v. Buckow goß seinem Besucher einen Kognak ein. Er konnte es, weil er die Flasche bei einem studentischen Wettstreit gewonnen hatte.
Ein netter Junge, dachte Gerholdt. Das macht das alles noch viel schwerer. Was soll ich sagen? Wie soll ich anfangen?
»Ich könnte Ihnen einen anderen Kommilitonen nennen, der die zehntausend Adressen schreibt«, sagte v. Buckow und stellte die Gläser auf den Tisch. »Er hat es ebenso nötig wie ich und ist erst im zweiten Semester. Sohn eines kleinen Angestellten, Primus im Abitur … aber sonst ein ganz armes Schwein. Den könnte ich Ihnen empfehlen.«
»Ich werde ihm fünfhundert Mark schenken«, sagte Gerholdt müde.
»Schenken?« Fred v. Buckow musterte den späten Gast mit dem Blick, wie man einen Irren ansieht, von dem man noch nicht weiß, ob er gefährlich oder nur harmlos blöd ist. »Wollen Sie mich
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