Schicksal!
an; sie gibt auch nichts von sich, das eine solche Reaktion hervorrufen könnte. Sie telefoniert einfach auf ihrem Handy. Und außerdem sind es nicht nur Männer, die sie anlächeln, weil sie scharf ist und weil sie ihr an die Wäsche wollen – Frauen bemerken sie ebenfalls. Ich frage mich gerade, ob ich mir die ganze Sache einbilde und die Empfindungen, die sie in mir auslöst, auf die Leute projiziere oder ob sie tatsächlich deren Reaktion verursacht. Da angelt sie sich ein Taxi und verschwindet in einem Meer von Fahrzeugen, das stadteinwärts in Richtung Park Avenue davonströmt.
Nach allem, was ich über die neue Mieterin weiß, gibt es an ihr nichts einzigartig Besonderes, das wildfremde Menschen auf der Straße zum Lächeln bringen könnte. Allerdings heißt das nichts. Früher bin ich davon ausgegangen, dass alle Menschen auf dem Pfad von
Bestimmung
eine bestimmte Gemeinsamkeit haben müssten – einen speziellen Look vielleicht oder eine ähnliche Wesensart. Etwas, das sie von den Menschen auf meinem Pfad unterscheidet. Aber mittlerweile habe ich makellos gepflegte Männer und lammfromme Frauen gesehen, deren Schicksal im ewigen Mittelmaß lag, während zerzauste Vetteln und arrogante Männer für Dinge weit jenseits meines Aufgabenbereichs bestimmt waren.
Erfinder. Künstler. Wissenschaftler.
Heiler. Anführer. Lehrer.
Allerdings schließt die letzte Kategorie nicht Leute wie den Biologielehrer Darren Stafford von der Highschool in Duluth, Minnesota, ein. Der nämlich erfährt in diesem Augenblick, dass seine Lieblingsschülerin gelogen hat, als sie sagte, sie würde die Pille nehmen.
Dumm gelaufen!
In der gesamten Zeit meiner Existenz, speziell in den letzten paar Jahrtausenden, habe ich die Menschen auf dem Pfad der Bestimmung ganz genau beobachtet. Ich bin ständig auf der Suche nach dem kleinsten Hinweis darauf gewesen, was es ist, das ausgerechnet diese Menschen besonders macht. Was sie antreibt.
Ich habe den Vorträgen von Plato und Aristoteles zugehört.
Ich habe Albert Einsteins Pausenbrot geklaut.
Ich habe zugesehen, wie van Gogh Gemälde schuf und Rodin Skulpturen.
Ich habe mit Benjamin Franklin Drachen steigen lassen, bin mit Leif Eriksson gesegelt, war der Geburtshelfer von Julius Cäsar und stand bei Jesus’ Kreuzigung in der ersten Reihe. Einige Zeit lang bin ich sogar Moses gefolgt, um herauszubekommen, was ihn so antreibt.
Dabei fällt mir ein: der feuerrot brennende Busch? Das erinnert mich natürlich an
Bestimmung –
sie ist ja schließlich ein echter Rotschopf. Und vierzehnhundert vor Christus hatte noch keine Bikinizone jemals Bekanntschaft mit Brazilian Waxing geschlossen.
Mittlerweile bin ich jedenfalls nach mehreren zehntausend Jahren und mehreren hundert Millionen Menschen fast versucht aufzugeben: Meine Suche nach der speziellen Veranlagung dieser Männer und Frauen, die für etwas bestimmt sind, das ich ihnen nicht geben kann, ist fruchtlos geblieben. Trotzdem bin ich tief in meinem Innern immer noch davon überzeugt, dass es mir helfen würde, wenn ich das Wesen ihrer Einzigartigkeit endlich begreifen könnte. Dadurch würde mir sicherlich die Beziehung zwischen mir und meinen Menschen klarer. Und ich würde verstehen, warum die meisten von ihnen mir so furchtbar auf den Sack gehen.
6
I m Durchschnitt werden täglich eine viertel Million Menschen geboren. Für 210 000 von ihnen bin ich verantwortlich. Rechnet man das hoch, kommt man auf 8750 zugewiesene Schicksale pro Stunde, 146 pro Minute oder auch 2 , 4 pro Sekunde.
Ich müsste vierundzwanzig Stunden am Tag vor dem Computer sitzen. Als ob ich Lust dazu hätte!
Mit dem Automatischen-Schicksalsgenerator-Programm, das
Innovation
geschrieben hat, um mir beim Zuteilen der Schicksale zu helfen, kann ich mich um alle 210 000 Neugeborenen kümmern, während ich gleichzeitig bei Starbucks einen doppelten Latte macchiato trinke. Es wäre höchstwahrscheinlich angemessener, meinen Job im Home Office über einen Breitbandanschluss zu erledigen. Aber ich kann mich überall auf der Welt in das Königreich-Komme-Netzwerk einloggen, und Jerry behauptet sogar, Königreich-Komme wäre sicherer als das System der Nationalen Sicherheitsbehörde. Trotzdem: Wenn man die Schicksale per Funkverbindung versendet, hofft man jedes Mal, dass eines Tages nicht doch irgendein Dreizehnjähriger in Tokio eine Möglichkeit gefunden hat, unser Netzwerk zu hacken.
Das Automatische-Schicksalsgenerator-Programm nimmt mir nicht die
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