Schicksal!
noch AOL und zwingt uns, diesen Onlinedienst ebenfalls zu nutzen. So kann er nämlich den Status seiner Mails überprüfen und sichergehen, dass wir sie wirklich lesen.
Um es auf den Punkt zu bringen: Jerry ist ein Kontrollfreak.
Als ich die E-Mail öffne, um den Text zu lesen, steht dort nur:
Ein großes Ereignis steht an!!!
Seid bereit!!!
Typisch Jerry. Er liebt es, uns im Dunklen tappen zu lassen, wenn es um seine persönlichen Projekte geht. Baut Spannung auf. Kündigt im großen Stil geschichtsträchtige Ereignisse an und klärt uns erst im letzten Moment über die Details auf.
Noah.
Jesus.
Die New York Mets, das Baseball-Wunder von 1969 .
Klar,
Bestimmung, Tod
und ich spielen eine größere Rolle im Leben der Menschen als die Immaterien, die Emotionen, die Tödlichen oder die Geringeren Sünden. Trotz allem ist es aber immer noch Jerry, der den Kurs bestimmt. Mails wie diese sind seine Methode, um uns daran zu erinnern, wer hier das Sagen hat.
Um es auf den Punkt zu bringen: Jerry ist machtbesessen.
Wenn es um Dinge wie biblische Fluten, den Messias und eine der größten Überraschungen in der Geschichte des amerikanischen Baseball geht, wissen wir normalerweise nicht, was Jerry plant. Natürlich muss er irgendwann zumindest einen von uns einweihen. Viel Vorbereitungszeit oder auch nur eine Vorwarnung gibt er uns in der Regel allerdings nicht.
Bestimmung
zum Beispiel hatte Maria vom Zeitpunkt der unbefleckten Empfängnis an automatisch auf ihrem Radarschirm und ahnte, dass irgendetwas passieren würde – Jerrys Plan kannte sie jedoch nicht. Und obwohl ich wusste, dass die Baltimore Orioles die Baseballmeisterschaft 1969 dominieren würden, hatte ich keinen blassen Schimmer, dass sie gegen die Mets verlieren würden. Von der Sintflut wusste niemand von uns, bis in der Wettervorhersage angekündigt wurde, dass sich die Fluttore des Himmels für die nächsten vierzig Tage öffnen würden. Das Ganze hat uns unseren Frühjahrsurlaub auf Tahiti ziemlich versaut.
Lange Rede, kurzer Sinn: Obwohl ich die Zukunftswege von mehr als vier Fünfteln der Weltbevölkerung kontrolliere, habe ich keine Ahnung, was Jerry diesmal aus dem Hut zu zaubern gedenkt. Ganz zu schweigen davon, dass ich auch nicht viel Zeit habe, um mich mit seinen kryptischen Botschaften auseinanderzusetzen. Also warte ich, bis die heutigen Schicksale hochgeladen sind, speichere seine E-Mail in meinem »Jerrys Nervige Ankündigungen«-Ordner und klappe den Laptop zu. Anschließend richte ich meine Aufmerksamkeit auf eine zweiundzwanzigjährige Kellnerin, die gerade darüber entscheidet, ob der arbeitslose Nichtsnutz mit dem geeisten Mokka an Tisch Nummer fünfzehn der perfekte Freund für sie sein könnte.
7
O hne ein bestimmtes Ziel schlendere ich in der Dämmerung durch das Rotlichtviertel von Amsterdam. Der Oudezijds-Achterburgwal-Kanal – wie können diese Leute überhaupt mit dieser Sprache kommunizieren? Ich jedenfalls komme nicht mal bis über die erste Silbe hinaus. Dass ich gerade aus einem Coffeeshop namens Extase komme, in dem ich etwas probiert habe, das sich White Widow nennt, ist dabei nicht unbedingt förderlich.
Normalerweise mache ich einen großen Bogen um Alkohol, Shit oder psychedelischen Pilztee mit Honig und Ingwer, aber ich war seit dem Vietnamkrieg nicht mehr in Amsterdam, und seit meinem letzten Besuch hat sich einiges geändert. Und man soll sich ja den örtlichen Gepflogenheiten anpassen, oder?
Auf der anderen Seite des Kanals verkündet ein Schild über einer geschlossenen Tür » LIVE PORNO SHOW «. Rechts davon führen ein paar Stufen an einem Fenster vorbei, in dem eine Neonreklame für das »Cannabis College« wirbt. Den Kanal hinauf kann man dem Haschisch-Museum »Hash, Marihuana & Hemp« und der Hanfsamenbank »Sensi Seeds« einen Besuch abstatten, ehe man sich der legalisierten Prostitution hingibt.
Langsam beginne ich mich zu fragen, weshalb ich noch immer in Manhattan wohne.
Auf meiner Seite des Kanals krönen rote Neonlichter verglaste Türeingänge. Die ebenfalls roten Vorhänge dahinter sind aufgezogen. Frauen von verschiedenster Statur und mit den unterschiedlichsten Haarfarben stehen darin und bieten sich den vorbeigehenden Männern an. Einige der Türen sind geschlossen, die Gardinen vorgezogen. Das Licht über diesen Eingängen ist gedimmt – zum Zeichen, dass die Bewohnerin zurzeit nicht zur Verfügung steht.
Ein junges französisches Paar vor mir diskutiert, ob es eine der
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