Schicksal!
Prostituierten nach einem Dreier fragen soll. Die Frau, eine neunzehnjährige Studentin aus Paris, wird die Uni ohne einen Abschluss in Kommunikationswissenschaften, aber mit einem Doktor in Gescheiterte Beziehungen verlassen. Ihr Freund, ein einundzwanzigjähriger Geschichtsstudent, wird auf der Nummer mit dem flotten Dreier hängenbleiben.
Ich kann nicht anders, ich muss lachen.
Das Paar schaut in meine Richtung, und der Mann bezeichnet mich auf Französisch als Arschloch.
Ich habe offensichtlich vergessen, dass ich nicht unsichtbar bin.
Vielleicht war es keine so gute Idee von mir, vor der Arbeit zu kiffen.
Ich mache einen großen Bogen um das Pärchen und schlendere am Kanal entlang, vorbei an dem Hasch-Museum und einer achtundzwanzigjährigen männlichen Jungfrau aus Branson, Missouri. Der Junge wird sich unsterblich in die erste Prostituierte verlieben, mit der er schläft. Ich hingegen gehe weiter und suche nach einer Seitengasse, in der ich mich unbemerkt unsichtbar machen kann. Ein wenig so wie Clark Kent, der ja auch immer auf der Suche nach einem unauffälligen Platz ist, an dem er sich in Superman verwandeln kann. Nur dass ich nicht wirklich hier bin, um irgendjemanden zu retten.
Ich habe mich oft gefragt, wie es wohl wäre, ein Superheld zu sein. Wenn ich meine Kräfte nutzen könnte, um Damen in Not beizustehen oder Schurken und Verbrechern einen Strich durch die Rechnung zu machen. Allerdings glaube ich nicht, dass meine geheime Identität ein Gefühl der Sicherheit hervorrufen würde.
Captain Schicksal.
Schicksalsschlag-Man.
Mr. Schicksal.
Außerdem schätze ich, dass mir Leggings und ein knallenger Body nicht sonderlich gut stehen würden.
Erst auf der Hälfte der Gasse fällt mir auf, dass ich nicht allein bin. Und dass dies eine Sackgasse ist. Als ich mich schließlich umdrehe, sehe ich die Umrisse des vierundzwanzigjährigen Nicolas Jansen im Gegenlicht – er steht zwischen mir und dem Eingang zur Gasse. Ich kann sein Gesicht nicht erkennen, aber ich weiß trotzdem, dass er den Großteil der nächsten zwei Jahrzehnte damit verbringen wird, zwischen Gefängnis und Drogenrehabilitationszentrum hin- und herzupendeln. Wobei es letzten Endes keinen Unterschied machen wird, an welchem der beiden Orte er sich gerade aufhält.
»Was geht?«, fragt er mit niederländischem Akzent und bewegt sich auf mich zu.
Ich habe nicht viel Umgang mit Menschen, besonders nicht auf diese Art. Da ich die Eignung der Menschen als Spezies generell in Frage stelle, ist es bei Licht betrachtet auch nicht weiter verwunderlich, dass meine sozialen Fertigkeiten etwas eingerostet sind.
»Geh weg«, erwidere ich.
Er zögert; meine Reaktion hat ihn einen Moment lang aus der Bahn geworfen. Allerdings missversteht er sie als Tapferkeit und kommt näher.
»Ich gehe, wenn ich mit dir fertig bin«, sagt er und zieht ein Stilett.
Es ist nicht so, dass ich Angst hätte, verletzt oder getötet zu werden. Sicher, er kann meiner Menschenhülle schweren Schaden zufügen, aber ich kann mir von
Genialität
eine neue besorgen. Die Hülle, die ich benutze, ist sowieso schon ziemlich abgetragen. Nicht weiter überraschend, denn immerhin trage ich sie seit der Reformation.
Trotzdem habe ich keine Lust, mich hier und jetzt ausrauben und abstechen zu lassen. Schließlich bin ich gerade high, und ich fürchte, umgebracht zu werden könnte mir den Spaß daran verderben. Außerdem will ich dem Anne-Frank-Haus noch einen Besuch abstatten.
»Gib mir deine Brieftasche«, fordert er mich auf.
»Ich habe kein Geld«, sage ich. Was nicht stimmt. Zusätzlich zu meinem eigenen Geld habe ich einen Hunderter von
Faulheit
in der Tasche, dem ich dafür richtig gutes Hasch mitbringen soll.
»Gib mir deine beschissene Brieftasche!«, wiederholt er und schwingt dabei seinen Dolch.
Jetzt kann ich Nicolas Jansens Gesicht sehen: jung und total fertig, die letzte Rasur liegt einige Tage zurück. Noch hat ihn sein Lebensstil nicht zerfressen, aber er hat bereits die Zähne in ihn geschlagen und saugt ihm langsam den Willen aus den Knochen.
Ich könnte ihm einfach meine Brieftasche geben und ihn seinem Pfad zu
Verzweiflung
und
Fehlschlag
überlassen. Aber ich habe wirklich überhaupt keine Lust dazu, meine Universal-Kreditkarte sperren zu lassen oder mir einen neuen Ausweis besorgen zu müssen. Ich hasse es, zum Amt zu gehen.
Natürlich könnte ich auch einfach das tun, weswegen ich hergekommen bin: mich unsichtbar machen. Mich in Luft auflösen.
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