Schicksal!
könnte ’ne Weile dauern«, meint
Karma
und setzt sich auf die Bank.
Ich nehme neben ihm Platz. »Bist du noch betrunken?«
Mit blutunterlaufenen Augen sieht er mich an. »Bin mir nicht sicher.«
»Kannst du mir eine Frage beantworten?«
Er nickt. »Ich werd’s versuchen.«
Ein Stück von uns entfernt beginnt Alex, lauter zu schnarchen.
»Was passiert, wenn jemand, der auf dem Pfad des Schicksals geboren wurde, auf den Pfad der Bestimmung gerät?«
Karma
starrt mich an. Genauso hat Ramses II . geguckt, als Moses den Pharao aufforderte, die Israeliten aus der Sklaverei zu entlassen.
»Und du fragst mich, ob
ich
betrunken bin?«
»Gib mir einfach eine Antwort, okay?«
»So etwas kann gar nicht passieren«, erläutert
Karma.
»Die Prädestinationslehre legt ganz eindeutig fest, dass die auf einem bestimmten Pfad Geborenen an diesen gebunden sind. Außer natürlich, wenn
Schicksal
oder
Bestimmung
eingreifen.«
»Ich dachte, du hättest dein Schulbuch nie aufgeschlagen.«
»Hab ich auch nicht«, sagt Karma. »Aber ich habe drei Tage lang die Antworten für den Test auswendig gelernt.«
»Und du erinnerst dich immer noch daran?«
»Klar. Komm schon. Das ist nicht einmal zweihundertfünfzigtausend Jahre her.«
Manchmal frage ich mich, ob
Karma
eine bipolare Störung hat oder einfach nur ein Klugscheißer ist.
»Aber was wäre, wenn es trotzdem passieren würde?«, beharre ich. »Was, wenn es passiert ist?«
Karma
zupft ein Stück Käse aus seinem Haar. »Gibt es etwas, das du mir verschweigst?«
Und dann erzähle ich ihm von Cliff Brooks. Und von Sara. Und von den ganzen anderen Menschen, denen ich geholfen habe. Und davon, wie ich dabei zugesehen habe, als Marie Curie heimlich ein Milchbad genommen hat. Absolut alles strömt aus mir heraus. Hin und wieder geschieht das mit mir, wenn ich beichte. Alles oder nichts – so in der Art denke ich dann anscheinend.
»Du weißt, dass du dich nicht bei den Menschen einmischen solltest«, sagt er.
»Und das von jemandem, der gerade in einem indischen Fast-Food-Restaurant auf den Tisch geklettert ist und sich allen Menschen dort zu erkennen gegeben hat«, setze ich dagegen. »Bei zweien von ihnen hat sich übrigens aufgrund deines Rates das Schicksal verändert.«
»Das tut mir leid«, meint
Karma.
»Mein Fehler. Aber das sollte nicht von Dauer sein.«
»Hallo? Ich kann ihre Pfade sehen. Und für mich sieht die Veränderung ziemlich dauerhaft aus.«
»Das Universum korrigiert das schon«, wiegelt
Karma
ab.
»Was soll das bedeuten?«
»Es bedeutet, dass sie trotz der kurzzeitigen Änderung ihrer Wege am Ende zu ihren ursprünglichen Pfaden zurückfinden werden. Das gilt auch für all die anderen Sterblichen, denen du geholfen hast – inklusive dieses Verlierers, den du auf den Pfad der Bestimmung geschickt hast. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird er wieder bei Hooters landen, um seine Freundin zu beeindrucken.«
»Bist du dir sicher?«, frage ich.
Karma
nickt. »Du kannst nicht gegen das Universum ankämpfen, Sergio. Es korrigiert sich selbst, erfüllt sich selbst und dient sich selbst. Früher oder später endet jeder genau dort, wo er enden sollte. Das haben wir doch in Universelle Gesetze durchgenommen. Kannst du dich nicht daran erinnern?«
Den Kurs muss ich geschwänzt haben.
»Es ist das Gleiche wie bei der Box-Theorie«, fügt
Karma
hinzu.
Die Box-Theorie besagt, dass Menschen Gewohnheitstiere sind: Sie sind mit ihrem Leben zufrieden, mit den Wänden, die sie um sich herum errichtet haben. Wenn sich etwas in ihrem Leben ändert und sie zu einem Tapetenwechsel zwingt, neigen sie dazu, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um in ihren alten Zustand zurückzukehren. In ihre vertrauten vier Wände.
Ich habe das bei meinen Menschen oft genug beobachtet, um zu wissen, dass es mehr ist als nur eine Theorie. Es ist ein selbstzerstörerisches Verhaltensmuster.
Profisportler und Lotteriegewinner, die plötzlich in eine Welt voller Reichtum gestoßen werden und bankrottgehen. Ledige Männer und Frauen, die der Liebe erst gar keine Chance geben, weil sie sich wohler fühlen, wenn es ihnen schlechtgeht. Aufstrebende Künstler und talentierte Schreiber, die sich so sehr ans Abrackern gewöhnt haben, dass sie die Gelegenheit, einmal ganz groß herauszukommen, ungenutzt verstreichen lassen.
Misserfolg ist für die Menschen oft einfacher zu akzeptieren als Erfolg.
Eigentlich sollte ich erleichtert sein, dass ich mir vermutlich keine Gedanken um das
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