Schicksal!
wenn man mich fragt: Vegas ist eher ein Themenpark für Erwachsene als ein kulturelles Ökosystem.
Ich hoffe nur, dass
Wahrheit
und
Weisheit
sich nicht dem Druck des Hollywood-Lifestyles ergeben haben.
»Sergio!«, begrüßt
Wahrheit
mich an der Tür des 12 , 5 Millionen Dollar teuren Anwesens mit Fuhrpark, Tennisplatz, Swimmingpool, Sauna und einem weiten, offenen Blick über das San Fernando Valley.
Wahrheit
entlässt mich aus einer herzlichen Umarmung. »Ich freu mich, dich zu sehen«, sagt er, wobei mir seine gebleichten Zähne und die künstliche Bräune nicht entgehen.
So viel also zur Bodenständigkeit.
Obwohl es eine Weile her ist, seit ich ihn zuletzt gesehen habe, wirkt sein Gesicht unnatürlich glatt. Entweder er hat sich ein Upgrade für seinen Menschenanzug besorgt, oder er lässt sich Botox spritzen.
»Du siehst großartig aus«, meint er, zieht mich hinein und schiebt mich den Flur entlang. Als er nicht aufpasst, schaue ich nach, ob meine Brieftasche und meine Schlüssel noch da sind.
Um es auf den Punkt zu bringen:
Wahrheit
ist Kleptomane.
»Also, was gibt’s Neues am Big Apple?«, erkundigt er sich.
Ich erzähle ihm all den Tratsch, der mir passend erscheint, während ich ihm nach draußen folge, wo
Weisheit
es sich mit einem Mojito und dem Ratgeber
Die Kraft des positiven Denkens
gemütlich gemacht hat. Er unterscheidet sich nicht sehr von
Wahrheit,
nur dass in seinen beiden Ohrläppchen goldene Ringe funkeln.
»Also, wenn du mich fragst: Du siehst fantastisch aus«, sagt
Wahrheit
zu mir und wendet sich dann an
Weisheit:
»Ist doch die Wahrheit, oder? Sieht er nicht großartig aus?«
Ohne aufzublicken, erwidert
Weisheit:
»Lobpreisungen sind nicht mehr als Reflexionen der eigenen Wahrnehmung. Sie haben nichts mit der Wahrheit zu tun.«
Um es auf den Punkt zu bringen:
Weisheit
hat einen Minderwertigkeitskomplex.
»Können wir heute mal nett sein?«, fragt
Wahrheit.
»Zu Ehren unseres Gastes?«
»Ich bin immer nett«, gibt
Weisheit
zurück, legt sein Buch zur Seite und steht aus dem Klubsessel auf, um mich zu umarmen. »Möchtest du einen Mojito, Sergio?«
Die nächsten paar Stunden verbringen wir damit, uns mit weißem Rum mit Minzblättern zu betrinken und die alten Zeiten aufleben zu lassen. Obwohl … Um ehrlich zu sein, geht es mehr ums Trinken als um den Austausch von Erinnerungen. Die meisten Menschen auf meinem Pfad haben schließlich nicht allzu viel mit
Wahrheit
und
Weisheit
am Hut. Als wir bereits angemessen angetrunken sind, schlägt
Wahrheit
vor, runter ins Formosa-Café zu gehen.
Das Formosa ist eine unbeeindruckende, nach chinesischem Stil ganz in Rot und Ebenholz gehaltene Bar in einer heruntergekommenen Gegend von Hollywood. Zum Abend wird hier ein komplettes Menü angeboten, doch die meisten Leute in dem schwach beleuchteten Café sind wegen der Cocktails hier. Sie sitzen an der Bar und in den mit rotem Leder ausgeschlagenen Separees. Über ihren Köpfen hängen Schwarzweißbilder mit Autogrammen von Stars, die hier in der Vergangenheit gespeist haben. James Dean, Marilyn Monroe, Clark Gable, Paul Newman, Jack Benny, Elizabeth Taylor, Marlon Brando. Fast erwartet man, dass einer von ihnen jeden Moment durch die Tür hineinschlendert.
»Die meisten Leute, die herkommen, sind Stammgäste«, erklärt
Wahrheit,
der zwischen
Weisheit
und mir an der Bar steht, seinen Martini trinkt und gerade nach einem Aschenbecher greift. »Aber man bekommt immer noch eine gute Mischung aus neuen Pärchen und Paaren bei der ersten Verabredung geboten. Der beste Garant für einen unterhaltsamen Abend.«
»Was meinst du damit?«, frage ich und bemühe mich, die Frau zu meiner Linken auszublenden, die darüber nachdenkt, eine Rolle in einem Pornofilm anzunehmen, in dem sie Sex mit einer Deutschen Dogge haben soll.
»Das macht er jedes Mal«, schaltet
Weisheit
sich ein. »Wenn du mich fragst: Es ist kindisch.«
»Aber über die Resultate beschwerst du dich auch nicht«, setzt
Wahrheit
dagegen.
Weisheit
antwortet, indem er einen weiteren Schluck von seinem Mojito nimmt.
»Das Paar hinter uns«, sagt
Wahrheit.
Ich blicke über meine Schulter auf einen Mann und eine Frau in den frühen Dreißigern. Beide sind ganz in Weiß gekleidet, und sie teilen sich eine Flasche Cabernet. Sie sind nicht verheiratet – das liegt noch vor ihnen. Dicht gefolgt von einer ziemlich hässlichen Scheidung.
Vielleicht war es doch keine so gute Idee, nach Los Angeles zu kommen.
»Sie feiern, dass sie seit
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