Schicksalsbund
»Sie ist in mich verliebt. Sprich weiter, Jaimie.«
Javier ignorierte ihn. »Wenn man für ein Passwort sechs zufällige Wörter aus einem Wörterbuch heraussucht, müsste ein Programm, das dieses Passwort zu knacken versucht, eine unvorstellbar große Anzahl von Kombinationen durchprobieren.«
Jaimie nickte. »Multipliziere 170 000 mit 170 000 mit 170 000 mit … dir ist doch klar, worauf ich hinauswill: 170 000 hoch sechs. Unsere schnellsten Supercomputer würden mehr als dreihundert Jahre brauchen, um sämtliche Möglichkeiten durchzuprobieren. Das heißt also, ein solches Passwort ist ziemlich sicher.«
»Davon hast du mir nie etwas erzählt, Jaimie«, sagte Javier. »Wie funktioniert das Programm?«
»Es hat etwa tausend verschiedene ›Datenbankschemata‹,
die verschiedene Formen von erinnerten persönlichen Erfahrungen darstellen: von glücklichen Kindheitserinnerungen über leicht traumatische Erlebnisse bis hin zu Phantasien, Erinnerungen an Liebe oder an Sex und Erinnerungen an Errungenschaften und so weiter.«
Mack sah sie finster an. »Ich will nichts über die sexuellen Phantasien des Jungen wissen, Jaimie, ich will nur sein Passwort. Ich muss mich unbedingt auf diesem Computer umsehen können.«
»Du hast keine Geduld«, sagte Jaimie vorwurfsvoll. »Das Programm versucht eine ungewöhnliche Erinnerung oder Tatsache aufzuspüren. Also eben nicht die Art von Dingen, nach denen man oft gefragt wird, wenn Passwortfragen gestellt werden, wie ›Mädchenname der Mutter‹, ›Wie heißt dein liebstes Haustier‹ und so weiter. Und es fragt nicht nach sexuellen Vorlieben, ihr perversen Kerle. Viele Leute außer euch könnten an solche Informationen herankommen. Daher steuert das Programm weg von solchen Dingen. Stattdessen sucht es nach Fakten oder Erinnerungen, die für einen einzigartig sind und die man nie einem anderen Menschen erzählt hat.«
Javier schüttelte den Kopf. Sein Mund stand offen, und seine Augen leuchteten vor Respekt. Mack warf sich in die Brust. Er begeisterte sich dafür, wie intelligent Jaimie war und dass sie Dinge tun konnte, die nur wenige andere tun konnten und von denen er nichts verstand. Er hörte ihr liebend gern zu. Manchmal, wenn sie sprach, hatte er das Gefühl, ihre Leistungen seien die besten auf Erden. Er war stolzer auf sie als auf irgendetwas, was er jemals selbst getan hatte. Er wollte vor aller Welt mit ihr angeben – und er wollte sie ganz für sich allein haben.
»Das Programm benutzt ein natürlichsprachliches Interface und einen einzigartigen KI-Lernalgorithmus, der es ihm fast immer erlaubt, sich spätestens beim fünften Versuch einer einmaligen Erinnerung einer Person zu nähern. Es könnte also damit beginnen, dass es nach einer leicht traumatischen Kindheitserinnerung sucht – nach etwas, woran du dich erinnerst, was du aber nie einem anderen Menschen erzählt hast –, doch dann stellt es fest, dass du jemand bist, der im Grunde genommen keine unglücklichen Kindheitserinnerungen hat. Sowie es das herausgefunden hat, könnte sich das Programm darauf verlegen, nach eher erfreulichen Kindheitserinnerungen zu suchen.«
»Wie ich sehe, konzentrierst du dich auf ›leicht‹ traumatische Erlebnisse oder ›eher‹ erfreuliche Kindheitserinnerungen«, sagte Javier, und ihm war anzuhören, dass er bereits Spekulationen anstellte.
Mack wünschte, er könnte mithalten; offenbar ging es hier um spannende Dinge.
Jaimie nickte. »Weil grauenhaft traumatische Erlebnisse oder umwerfend glückliche Kindheitserinnerungen Dinge sind, die man anderen durchaus erzählt haben könnte. Wir suchen nach einer Erinnerung, die sich nicht zu sehr von den anderen abhebt, aber dennoch einzigartig ist, nach etwas, was sich die Person als ihr Passwort merken kann, weil es schließlich vom eigenen Gedächtnis hervorgebracht worden ist.«
Mack verzog das Gesicht. »Ich sage dir das nur äußerst ungern, meine Süße, weil ich es nicht leiden kann, wenn du mir etwas voraus hast, aber ich habe keine Ahnung, wie sich das hier anwenden ließe.«
»Tja, im Gegensatz zu Javier kenne ich dieses Programm.
Das war der Ansatz, den ich mir für meine Dissertation habe einfallen lassen, und dann habe ich mich daran gemacht, ein praktisch anwendbares Programm zu entwickeln. Es wurde als streng geheim eingestuft. Ich weiß nicht, wie es Paul gelungen ist, an ein Top-Security-Programm zu kommen, aber er benutzt es, um seine E-Mails zu schützen. Es ist sein Pech, dass ich
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