Schicksalsbund
schnippte er direkt vor ihren Augen ganz lässig gegen einen Schalter am Computertisch. Ihr stockte der Atem. Sie fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht und nahm ihre Hände hinter den Rücken, als sie feststellte, dass sie zitterten. »Du hattest die Haussprechanlage eingeschaltet, stimmt’s?«
»Selbstverständlich. Das geht uns alle etwas an. Ich halte keine Informationen zurück, die dir das Leben retten könnten. Du wirst ganz einfach akzeptieren müssen, dass wir hier sind und dass wir dich beschützen werden.«
Sie biss sich fest auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf. »Ich muss eine Zeit lang allein sein. Ich bin es nicht mehr gewohnt, Menschen um mich zu haben.«
»Wohin gehst du?«
»Ins Erdgeschoss.« Sie sah ihn mit einer Mischung aus Verzweiflung und Traurigkeit an. »Ich bin nicht dumm, Javier, und ich habe keine Todessehnsucht. Ich werde nicht aus dem Haus gehen.«
»Ich werde nicht sagen, es täte mir leid. Dafür lege ich zu großen Wert auf deine Sicherheit.«
»Ich habe keine Entschuldigung von dir erwartet.«
Sie wandte sich von ihm ab. Sie passte nirgends mehr dazu. Vielleicht hatte sie nie irgendwo dazugepasst. Sie war während der gesamten Schulzeit so viel jünger gewesen als die anderen. Die anderen waren stark körperorientiert, sie selbst verbrachte die meiste Zeit in ihren Gedankenwelten. Sie war am Boden zerstört gewesen, als sie mit Mack Schluss gemacht hatte, mehr als am Boden zerstört. Sie war innerlich zerbrochen. Er hatte ihr nicht vertraut. Er hatte nicht an sie geglaubt. Und er hatte sein Leben nicht mit ihr verbringen wollen.
Mack war ihre ganze Welt gewesen. Das erste Jahr nach der Trennung hatte sie gefühllos verbracht, taub dahinvegetiert und nicht etwa gesehen, wie sie jeden einzelnen Tag überstand, sondern jede einzelne Stunde. Ihr war nicht klar gewesen, wie sehr sie von ihm abhängig war und wie oft sie sich wegen jeder Kleinigkeit in ihrem Leben an ihn gewandt hatte. Er war ihre andere Hälfte gewesen. Ohne ihn war sie nicht vollständig. Und das Wissen, dass er ihr nicht vertraute, war noch schlimmer gewesen als seine Weigerung, sein Leben mit ihr zu verbringen.
Mack war immer der anerkannte Anführer gewesen, aber in ihrer improvisierten Familie hatte es kein einziges Mitglied gegeben, das nicht gewusst hatte, wie intelligent sie war. Es hatte sie schockiert, dass er ihren Verdachtsmomenten keinen Glauben geschenkt hatte. Was war sie ihm denn überhaupt? Ein warmer Körper, der ihm dazu diente, seine Gelüste zu stillen? Eine Frau, die für ihn kochte und ihm den Haushalt führte, aber ihre Meinung für sich behalten sollte?
»Jaimie«, sagte Javier leise, weil er sie gern zur Vernunft gebracht hätte.
Es gab nichts zu sagen, nichts, was er sagen konnte. Sie stieg die Treppe hinunter ins dunkle Erdgeschoss. Sie hatte so große Pläne gehabt, als sie das Gebäude gefunden hatte; jetzt erschienen sie ihr hohl. Sie hatte Mack und die anderen wieder in ihrem Leben, aber Mack sah sie immer noch als ein Kind an, das er beschützen wollte, und nicht als eine Partnerin, die er respektieren konnte. Wie sollte sie es schaffen, ihnen allen wieder ins Gesicht zu sehen? Wie sollte sie es schaffen, im selben Raum wie Mack zu sein?
Sie blieb mit den Händen auf ihren Hüften mitten im Raum stehen und fühlte sich hilflos und allein. Die Geräusche, mit denen das Wasser an die Mole schlug, waren im Erdgeschoss lauter. Hier unten hatte sie bisher wenig getan, nur die Fenster und die Eingänge gegen Eindringlinge gesichert. Das wäre ein perfektes Heim für Kane und seine Erwählte gewesen. Jaimie und Mack hätten in ihrer Traumwelt im zweiten Stock gelebt. In der ersten Etage hätten sie ein paar Gästeschlafzimmer für die Jungs eingerichtet, wenn sie vorbeischauten, und einen Arbeitsbereich für die Firma.
Sie sank auf den Fußboden und ließ ihren Kopf in ihre Hände sinken. Natürlich hatte sie geglaubt, sie würden alle zusammenarbeiten. Ihr war noch nicht einmal klar gewesen, dass sie diesen Gedanken im Hinterkopf gehabt hatte. – Sie würde eine Firma gründen und dafür sorgen, dass diese Firma ein voller Erfolg wurde; Mack würde einsehen, dass die von ihm gewählte Lebensweise ein Irrtum war, und zu ihr zurückkommen. Was für ein Idiot sie doch gewesen war. Die ganze Zeit war sie sich ihrer Unabhängigkeit sooo sicher gewesen, und dabei hatte sie sich von Anfang an einer Illusion hingegeben.
Jaimie seufzte. Sie war in einer vorwiegend
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