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Schicksalsfäden

Schicksalsfäden

Titel: Schicksalsfäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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nackten Füße schützend an den Leib gezogen und war in ein Buch vertieft. Das Kaminfeuer warf ein goldenes, reines Licht auf ihr Gesicht, das in Unschuld strahlte, als sie ihn erblickte. Sie trug ein hochgeschlossenes Nachthemd, das ein wenig zu groß für sie war, ihre Beine wurden von einer blauen Kaschmirdecke gewärmt.
    Vivien legte das Buch auf den Boden und zog die Decke an ihre Brust. Das Gesicht eines Engels umrahmt von Haar den Flammen der Hölle gleich, dachte Grant schaudernd. Wie ein Wasserfall aus Lava, von erdbeerrot bis weizengold glühend, fiel das frisch gewaschene Haar in Lockenkaskaden bis zu ihren Hüften herab. Dieses Haar hätte jede Frau mit Durchschnittsgesicht schon begehrenswert gemacht. Doch bei Vivien war unter dieser Lockenpracht das Gesicht einer Venus, noch viel frischer und zarter, als selbst der größte Künstler es auf eine Leinwand hätte bannen können. Ihre Augen waren nicht mehr geschwollen und so traf ihn die ganze Kraft ihrer überwältigend blauen Augen. Die Rosigkeit ihrer Lippen ließ ihn stumm staunen über die Wunder, die die Natur hervorzubringen vermag.
    Wieder nahm es Grant den Atem, etwas stimmte mit seinen Lungen nicht, und auch sein Herz schlug viel zu schnell und hart. Mit aller Macht versuchte er sich auf seine gesellschaftliche Stellung zu konzentrieren, versuchte er dem fast übermenschlichen Drang zu widerstehen, sie sofort und rücksichtslos zu nehmen. Er wollte sie so sehr, dass er mit den Zähnen knirschte.
    Vivien schien Grants Gefühlsaufwallung nicht wahrzunehmen, denn sie lächelte ihn geradezu aufmunternd offen an. Die Wärme, die von diesem Lächeln ausging, ließ Grant die Frau fast noch mehr hassen.
    Irgendwie schaffte er es, sich zusammenzureißen und zurückzulächeln.
    »Guten Tag, Miss Duvall. Es wird Zeit, dass wir miteinander reden.«
    Wie gebannt starrte Vivien auf den Mann vor ihr, die Decke immer noch schützend vor ihrer Brust. Seit sie von der Dienerschaft des Hauses erfahren hatte, dass Grant Morgan einer der berühmtesten und gefürchtetsten Runner der Stadt war und einer der mutigsten Männer überhaupt, war ihre Neugierde geweckt. Aber sie musste sich eingestehen, dass sie auch etwas Angst vor ihm hatte.
    Denn er war wirklich eine eindrucksvolle Erscheinung, was Vivien in dem Zustand, in dem sie sich die letzten vierundzwanzig Stunden befunden hatte, gar nicht aufgefallen war. Er war nicht nur groß, sondern sehr groß. Seine einschüchternde Ausstrahlung wurde noch verstärkt durch die tiefe Stimme und die scharfen grünen Augen, denen nichts entging. Jetzt, da es ihr besser ging und sie die Dinge etwas klarer sah, betrachtete sie Grant zum ersten Mal richtig. Alles an ihm war riesig. Seine Schultern schienen so breit wie das Portal der Westminster Cathedral, seine Muskeln an Armen und Beinen zeichneten sich stark und geschmeidig unter Hemd und Hose ab. Er war nicht eigentlich schön im herkömmlichen Sinne. Dafür war sein Gesicht zu hart, hart wie Granit und seine Hände zu groß und kräftig. Doch als Vivien jetzt diese Hände betrachtete, lief ihr ein Schauder über den Rücken, weil sie sich daran erinnerte, wie zart diese mächtigen Hände sein konnten.
    »Ja, unterhalten wir uns«, sagte sie leise.
    Morgan zog den schweren Sessel heran, als ob dieser kein Gewicht hätte.
    Vivien beobachtete immer noch jede seiner Bewegungen genau und fragte sich, wie es sein mochte, über so viel Kraft zu verfügen, sie zu beherrschen und einzusetzen. Seine Männlichkeit und rein physische Energie schien den ganzen Raum auszufüllen. Als er sich ihr gegenüber setzte, blickte sie in seine grünen Augen – beinahe smaragdgrün, schoss ihr fasziniert durch den Kopf. Eher noch erinnerte ihre Farbe an die des Meeres, oder die einer alten, edlen Weinflasche.
    Auch als sie zu sprechen begann, konnte sie sich nicht von seinem Blick losreißen. »Grant wie kann ich Ihnen je für das danken, was Sie für mich getan haben? Für Ihre Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit. Für Ihre Großzügigkeit und …«, sie spürte, wie sie errötete, »… und dafür, dass Sie mir das Leben gerettet haben.«
    »Nicht ich habe Sie aus der Themse gezogen«, sagte Grant dem ihre Dankbarkeit unangenehm war, »sondern ein Fährmann.«
    Vivien versuchte verzweifelt bei ihm Verständnis für ihre Gefühle zu wecken. »Und doch wäre ich gestorben, wenn Sie nicht gekommen wären. Ich erinnere mich, wie ich auf den Treppen am Ufer lag, noch halb im Wasser, und mir war so

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