Schicksalsfäden
kalt dass mir in diesem Moment der Tod fast willkommen gewesen wäre. Und dann waren plötzlich Sie da …«
»Woran können Sie sich sonst noch erinnern? Was können Sie mir über sich selbst erzählen, über Ihre Vergangenheit? Und wie kamen Sie überhaupt ins Wasser? Wissen Sie noch etwas von einem Streit oder …«
»Nein.« Sie legte beide Hände gleichzeitig an ihren Hals und betastete vorsichtig die Wunde. »Grant wissen Sie, wer mir das angetan hat?«
»Das weiß ich nicht. Und dass Sie Ihr Gedächtnis verloren haben, macht es verdammt noch mal nicht einfacher, es herauszufinden.«
»Es tut mir so leid.«
Grant zuckte mit den Schultern. »Ach, was soll’s. Nicht Ihre Schuld.«
War das der sanfte Fremde, der sich ihrer letzte Nacht und heute Morgen angenommen hatte? Vivien konnte es kaum glauben. Dieser Mann hatte sie zärtlich in den Arm genommen, sie getröstet und ihre Wunden verbunden, so liebevoll und fürsorglich, wie Eltern es für ihr Kind tun würden. Und jetzt war er abweisend und grob zu ihr. Gar wütend auf sie, aber warum? Die Erkenntnis erschreckte sie, machte ihr Angst, wo sie doch gerade ein wenig Hoffnung geschöpft hatte. Grant Morgan war alles, was sie hatte. Ihn so kalt zu sehen war für sie unerträglich.
»Sie sind wütend auf mich«, sagte sie, »doch ich weiß nicht warum. Was ist geschehen? Was habe ich getan?«
Die Frage schien ihn etwas zu besänftigen. Er sah sie nicht wieder an, aber ein Seufzen ging durch seine breite Brust als befreite er sich von aufgestauten Gefühlen. Er schüttelte kurz den Kopf. »Schon gut es ist nichts.«
Hatte er vielleicht etwas über sie erfahren, das ihm nicht gefiel? fragte sich Vivien. Bei dem Gedanken versteifte sich ihr Körper und ihre Muskeln begannen zu zittern.
»Ich habe solche Angst«, flüsterte sie und rang die Hände in ihrem Schoß. »Ich würde mich so gern an irgendetwas erinnern, aber es gelingt mir nicht. Ich bin so verwirrt dass ich nicht einmal weiß, wer ich bin. Ich weiß nur, dass es einen Menschen gibt der mir den Tod wünscht …«
»Und er wird denken, dass Sie es sind.«
»Er?«
»Die Würgemale an ihrem Hals hätte Ihnen keine Frau, beibringen können. Dafür braucht es die Kraft eines Mannes.. Und soweit ich weiß, hatten Sie in Ihrem Leben vor allem mit Männern zu tun.«
»Oh!« Warum konnte er nicht einfach sagen, was er wusste, statt sich alles aus der Nase ziehen zu lassen? Er spannte sie auf die Folter, blickte sie wie versteinert an; er wusste mehr über ihre geheimnisvolle Vergangenheit als sie selbst. »Das klingt so, als würde ich das, was Sie mir gleich über mich erzählen, nicht unbedingt mögen.«
Grant griff in seine Rocktasche und entnahm ihr ein kleines, in rotes Leder gebundenes Buch. »Sehen Sie sich das hier einmal an«, sagte er nur und legte das Buch in Viviens Schoß.
»Was ist das?«, fragte sie ängstlich.
Ohne ihr zu antworten, sah er sie weiter ungeduldig an.
Vorsichtig öffnete sie das Buch, blätterte, sah die feine Handschrift einer Frau, sah Listen und Namen, nahm sich dann einige Augenblicke Zeit zu lesen. Schließlich erreichte sie eine so deutliche Stelle, dass sie das Buch mit einem Knall schloss. Eine Sekunde saß sie regungslos und schockiert. Ihr Atem ging schnell, als sie fragte: »Wie kommen Sie dazu, mir etwas so Widerwärtiges zu zeigen?« Sie wollte das Buch loswerden und hielt es ihm hin, er machte jedoch keine Anstalten, es entgegenzunehmen. Also ließ sie es auf den Boden fallen und machte dabei ein Gesicht, als hätte sie eine Giftschlange vor sich. »Was hat dieses Ding mit mir zu tun? Wem gehört es?«
»Es gehört Ihnen.«
»Mir?« Es war, als legten sich eiskalte Finger um ihre Brust gegen die auch keine warme Kaschmirdecke half.
»Grant, ich glaube, da irren Sie sich.« Ihre Stimme klang brüchig vor Wut. »Ich habe das nicht geschrieben. Ich kann das nicht geschrieben haben.«
»Wie können Sie da so sicher sein?«
»Weil ich es einfach nicht gewesen sein kann.« Sie erschrak, als sie verstand, worauf er hinauswollte. Dann wich ihr Schrecken einem tiefen Gefühl der Demütigung.
Für Sekunden lastete Schweigen über dem Zimmer. Dann begann Grant mit leiser und ausdrucksloser Stimme zu sprechen. »Vivien, Sie sind eine Prostituierte, eine sehr erfolgreiche und stadtbekannte Kurtisane, und mit diesem Gewerbe haben Sie es zu viel Geld gebracht.«
Auf einen Schlag wich die Farbe aus ihrem Gesicht und sie fühlte ein Kribbeln auf der Haut. Das
Weitere Kostenlose Bücher