Schicksalsfäden
nach dem anderen heraus und stapelte sie auf.
dem Tisch auf: Theaterstücke, Romane, theologische und geschichtliche Werke türmten sich, während sie sprach:
»Das hier kenne ich, bei dem bin ich mir sehr sicher, bei dem auch und bei dem … oh, und das hier ist eines meiner Lieblingsbücher.«
Bei so viel Begeisterung musste Grant unwillkürlich schmunzeln. »Für eine Frau, die nie liest, kennen Sie sich in der Literatur sehr gut aus, muss ich sagen.«
»Was soll das heißen?«
»Lord Gerard erzählte mir glaubhaft, dass Sie mit Büchern überhaupt nichts anfangen können.«
»Aber das ist offensichtlich nicht wahr.«
»Vivien, Sie sind wie ein Chamäleon«, sagte Grant leise. »Mit wem Sie auch zusammen sind, Sie passen sich sofort und vollständig der neuen Umgebung und dem jeweiligen Menschen an.«
»Sie glauben also mit anderen Worten, dass ich meine Leidenschaft für Bücher verleugnet und mich dumm gestellt habe, nur um Lord Gerard zu gefallen«, fragte sie und hatte die Hände in die Hüften gestemmt.
»Kein besonders origineller Trick, muss ich sagen. Viele Frauen stellen sich dumm, weil sie genau wissen, dass Männer sich vor intelligenten Frauen fürchten.«
»So wie Lord Gerard?« Vivien las die Antwort in Grants Gesicht und atmete tief durch. »Jeden Tag lerne ich etwas Neues über mich. Das wenigste davon ist erfreulich, wie ich sagen muss.«
Als Grant sie so mit gesenktem Kopf dastehen sah, überkam ihn ein Gefühl, das er nie zuvor gespürt hatte. Er war sich so sicher gewesen, zu wissen, wer Vivien Duvall war, und doch schaffte sie es immer wieder, ihn zu verblüffen.
Er betrachtete sie eingehend. Das tiefrote, fast schwarz scheinende Samtkleid gab ihrem Anblick etwas sehr Intensives, fast Einschüchterndes. Grant war ein altmodischer Typ Mann, der sich nicht vorstellen konnte, dass es irgendwo auf der Welt auch nur eine Frau geben könnte, die zugleich schön und klug war … und kein bisschen eingebildet. Und nun stand diese Frau vor ihm. Grant war wirklich verwirrt denn ihm wurde erneut bewusst, dass er sich hoffnungslos in Vivien verlieben könnte … wenn er nicht ihren wahren Charakter kennen, wenn er sich nicht sicher sein würde, dass diese Frau vor ihm in Wahrheit eine Prostituierte war.
Gerade eben noch war er mit seinen Fingern der zarten Linie ihres Halses gefolgt hatte er eine flammende Strähne ihres sanft gewellten Haars hinter ihr kleines Ohr gestrichen. Fast wie in Trance hauchte er ihren Namen, und sie schaute zu ihm auf mit klaren blauen Augen, ganz offen, fragend, nach Antworten suchend. Und bei diesem Blick fühlte sich Grant plötzlich wieder an Viviens professionelle Verführungskünste erinnert und er entriss sich mit einem Kopfschütteln ihrem Bann.
»Was ist?«, fragte sie.
»Ihre Augen sind die eines Engels«, sagte er.
Vivien errötete. »Danke.«
Fest und doch fürsorglich ergriff Grant ihren Arm. »Bitte, kommen Sie her.« Er führte sie zu einem Sessel nahe beim Kamin und zwang sie sanft, aber nachdrücklich, sich zu setzen.
Ihre Selbstsicherheit und Zuversicht war wieder verflogen und in ihren Augen lag die alte Angst und Verlorenheit.
»Werden Sie mich jetzt weiter verhören?«
»Aber nein!«, rief er und fühlte sich wie ertappt. Dabei hatte er wirklich nicht vor, Vivien zu verhören. Heute nicht mehr. Heute würde er einfach nur genießen, mit ihr zusammen zu sein, ihre Nähe zu spüren. Was konnte man sich mehr wünschen, als eine schöne Frau, ein wärmendes Kaminfeuer, viele gute Bücher und eine Flasche Wein? Es gab sicher viele Männer, die damit nicht zufrieden wären, aber bei Gott, er war es!
Als er einen Stapel Bücher zusammensuchte und neben Viviens Sessel auftürmte, schien sie zu verstehen, dass er einfach nur Gesellschaft suchte, und sie entspannte sich etwas. Während er sich nun um eine gute Flasche Bordeaux kümmerte, sah sie den Bücherstapel durch. Nachdem er die Flasche nach allen Regeln der Kunst geöffnet und geprüft hatte, füllte Grant zwei Gläser, reichte ihr eins davon und setzte sich neben sie. Ohne das übliche Gehabe eines Weinkenners setzte Vivien ihr Glas an die Lippen und nahm einen Schluck. Grant dachte bei sich, dass sie die Verköstigungsrituale der feinen Gesellschaft als Edelprostituierte eigentlich ganz selbstverständlich kennen müsste. Aber wieder kamen ihm Zweifel. Hier saß eben keine kühle, berechnende Frau vor ihm, sondern ein kleines, verschüchtertes, dankbares junges Mädchen.
»Es scheint
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