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Schicksalsfäden

Schicksalsfäden

Titel: Schicksalsfäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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interessiert.«

Kapitel 6
    Aus ihren Gedanken gerissen, wirbelte Vivien herum. In der Tür, sie ganz ausfüllend, stand Grant und grinste breit.
    Das Grau seines Anzugs wurde von einem moosgrünen Hut ergänzt der wiederum zu seinen grünen Augen passte.
    Vivien setzte sich in Bewegung, kam ihm aufgeregt entgegen, um ihm ihre Entdeckung mitzuteilen.
    »Grant!« Sie konnte vor Aufregung kaum sprechen und das Herz schlug ihr bis zu Hals. »Ich habe diese Bücher gefunden, ich erinnere mich an sie, ich erinnere mich, hören Sie? Sie können sich gar nicht vorstellen, wie es ist wenn …« Sie kam nicht weiter. Ein halb ersticktes Lachen kam aus ihrer Kehle, das gleichzeitig aus Verzweiflung geboren zu sein schien. »Oh, warum kann ich mich bloß nicht an mehr erinnern? Ich möchte doch so gern …«
    »Vivien«, unterbrach sie Grant mit beruhigender Stimme. Sein Grinsen war verschwunden. Er kam ihr mit drei Schritten entgegen und hielt sie an den Armen fest.
    Als sie die Besorgnis in seiner Miene las, dämmerte ihr, dass sie wie eine Verrückte wirken musste. Sie wollte erklären, doch mit einen »Schhh« brachte er sie zum Schweigen.
    »Ganz ruhig«, sagte er und nahm ihr den Stapel Bücher ab, den sie noch immer vor ihrer Brust balancierte, und legte ihn auf den Boden. Dann griff er ihre Schulter, zog sie zu sich heran, legte seine Arme um sie und strich ihr sanft über den Rücken, wobei seine Finger wie zufällig auch den tiefsten Punkt ihres Kreuzes erreichten. »Also, jetzt noch mal ganz von vorn und ganz langsam«, sagte er und sein Atemhauch bewegte die feinen Härchen an ihrer Schläfe. »Woran können Sie sich erinnern?«
    Für Vivien kam jetzt zu der Aufregung der Erinnerung noch die Aufregung seiner Nähe. Sie erzitterte, als sie seine Hand an ihrem Rücken tiefer wandern spürte. »Ich erinnere mich an diese Bücher. Ich weiß, dass ich sie mit einem guten Freund zusammen gelesen habe. Aber ich habe kein Gesicht vor Augen, keine Stimme im Kopf. Je mehr ich mich auf Details besinne, desto unsicherer bin ich mir.«
    »Sie meinen diese Bücher hier?« In Grants Stimme schwang Zweifel mit. »Sie glauben, diese Bücher zu kennen, sie gelesen zu haben?«
    Vivien nickte. »Ich kann sogar aus ihnen zitieren.«
    »Erstaunlich.«
    »Was meinen Sie mit ›erstaunlich‹? Glauben Sie mir nicht?«
    Sie starrten sich einige Sekunden lang an. Dann sagte Grant sehr bedächtig: »Aber da:s passt nicht zu Ihnen.«
    »Trotzdem ist es die Wahrheit.«
    »Sie wollen mir also sagen, Sie hätten Descartes gelesen, ja? Dann erzählen Sie mir doch mal etwas über Descartes’ Dualismus.«
    Vivien war durchaus nicht eingeschüchtert. Im Gegenteil. Sie wusste, wovon Grant sprach, und brauchte nur einige Sekunden, um sich zu sammeln. Dann sagte sie: »Sie beziehen sich wohl auf Descartes’ Theorie, wonach Geist und Materie voneinander unabhängige Dinge sind. Dass wir uns nicht auf die Sinne als Grundlage von Wissen verlassen können. Ich glaube, dass Descartes damit Recht hat weil …«, sie machte eine Pause und sprach dann langsam weiter, » … weil man die Wahrheit nur mit dem Herzen erkennen kann, auch wenn die Beweise scheinbar dagegen sprechen.«
    Obwohl Grants Mimik nichts verriet spürte Vivien seine Überraschung.
    »Offensichtlich habe ich einen Philosophen als Gast«, sagte er nach einer Weile und dabei blitzten seine Augen vor Freude. Er legte den Descartes weg und griff nach einem anderen Buch. »Können Sie mir auch was über John Locke erzählen und wie er sich von Descartes unterscheidet?«
    Vivien nahm ihm das Buch aus der Hand und strich mit ihren Fingern über das raue Leder, während sie sprach.
    »Soweit ich mich erinnere, ist Mr. Locke der Ansicht dass der Geist des Menschen bei der Geburt so leer ist wie eine gewischte Tafel. Stimmt das soweit?« Sie blickte Grant erwartungsvoll an. Der nickte aufmunternd. »Und er behauptet weiterhin, dass alles Wissen sich auf Erfahrung gründet. Gedanken könnten nur das Ergebnis von Sinneswahrnehmungen sein, sagte er, aber da würde ich ihm widersprechen. Meines Erachtens ist schon von Geburt an etwas in uns, auf das unsere Erfahrung dann wirkt.«
    Grant nahm ihr das Buch wieder aus der Hand, schob es ins Regal zurück und drehte sich zu ihr um. Mit einer unendlich zärtlichen Geste strich er eine rote Haarsträhne hinter ihr Ohr. »Erzählen Sie mir bitte von anderen Büchern, die Sie gelesen haben.«
    Ohne zu zögern ging sie auf ein anderes Regal zu, nahm ein Buch

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