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Schicksalsfäden

Schicksalsfäden

Titel: Schicksalsfäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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weiterbringen konnten, saß sie hilflos da, unfähig, sich zu erinnern, unfähig, die Schlüssel zu ihrer Erinnerung zu finden. Es war wirklich zum Verrücktwerden.
    Vivien konnte nun nicht mehr lesen. Sie legte die Bücher auf den Boden neben dem Bett und legte sich auf die Seite. Die Kerze auf ihrem Nachttisch warf Viviens Schatten auf die Wand.
    Sie fragte sich, was aus ihr werden würde. Als ehemalige Prostituierte hatte sie nur wenig Möglichkeiten, wieder in die Gesellschaft aufgenommen zu werden. Wenn sie Glück hatte, fand sie einen Mann, den ihre Vergangenheit nicht störte. Vielleicht konnte sie auch eine Arbeit finden, die ihr wieder Respekt verschaffte. Aber am einfachsten wäre es, auf gesellschaftliche Anerkennung zu pfeifen und einfach ihren Körper weiter zu verkaufen.
    Offensichtlich beherrschte sie das gut genug, um nicht schlecht davon leben zu können. Nein, dachte sie dann. Nie wieder würde ihre Liebe käuflich sein, das schwor sie sich. Eine Arbeit finden war die einzige Möglichkeit. Aber wer würde sie bei ihrem Ruf anstellen wollen?
    In düsterer Stimmung starrte Vivien auf eine ihrer feuerroten Haarsträhnen, die vor ihr auf dem Laken lag. Ganz ohne Eitelkeit wurde ihr bewusst, dass sie immer die Blicke von Männern auf sich ziehen würde, dass sie nie unerkannt bleiben würde und alle immer wüssten, dass sie einmal eine Prostituierte gewesen war. Was auch immer sie in ihrem Leben tun würde, stets würde sie ihre Ehre gegen Männer verteidigen müssen, stets würde sie sich schmutziges Gelächter anhören und sich gegen sexuelle Erpressung wehren müssen.
    Diese Gedanken wurde sie nicht los, bis sie schließlich in einen unruhigen Schlaf fiel, der ihr keine Erholung brachte, sondern sie mit Albträumen quälte, in denen sie glaubte zu ertrinken. Sie wälzte sich hin und her, kämpfte schwitzend mit ihren Decken und Laken und erwachte plötzlich mit einem Schrei. Kerzengerade saß sie im Bett wusste für Sekunden nicht wo sie war, wer sie war. Verwirrt blickte sie in die Dunkelheit.
    »Vivien?«
    Obwohl die Stimme, die ihren Namen gesagt hatte, sehr sanft war, fuhr Vivien erschrocken zusammen. »Wer ist da?«
    »Ich habe Sie schreien gehört und wollte nur nachsehen, ob bei Ihnen alles in Ordnung ist.«
    Das ist Grant, ging es ihr durch den Kopf. Doch seine Anwesenheit beruhigte sie diesmal nicht. Im Gegenteil: Für Sekunden war sie sich fast sicher, dass er sie auffordern würde, mit ihm zu schlafen. »Ein Albtraum … es war nur ein Albtraum, mir geht es wieder gut, danke. Ich wollte Sie nicht stören.«
    Sie sah Grants Schemen ans Bett treten, sie lag zu Füßen eines riesenhaften Schattens, und für einen Augenblick setzte ihr Herz aus. Ängstlich versuchte sie sich auf die gegenüberliegende Seite des Bettes zurückzuziehen, aber schon streckte der riesige Schatten seine Hand aus, näherte sich ihr. Sie versteifte sich.
    Mit einigen schnellen, geschickten Bewegungen zog er dann ihre Decke zurecht, glättete das Laken und schüttelte kurz das Kissen aus. »Hätten Sie vielleicht gern ein Glas Wasser?«, fragte er zum Schluss.
    Unschuldiger hätte eine Frage nicht klingen können. Ihre Angst war offensichtlich unbegründet gewesen. Noch nie hatte sie von einem Vergewaltiger gehört, der seinem Opfer vor der Tat noch eine Erfrischung anbot. Vivien schämte sich etwas für ihren Verdacht, aber ganz war ihre Ängstlichkeit noch ,nicht verflogen. »Nein, danke. Aber würden Sie bitte eine Kerze anzünden? Mein Albtraum war so lebhaft, dass ich Angst habe, er kommt sofort wieder, wenn ich einschlafe. Sie denken sicher, es ist albern von mir und dass ich mich wie ein Kind benehme, das Angst vor der Dunkelheit hat.«
    »Sie sind nicht albern. Wir alle haben Angst vor der Dunkelheit«, flüsterte Grant mit seiner tiefen Stimme und fast hauchend fuhr er fort: »Lassen Sie mich heute Nacht hier bei Ihnen bleiben, Vivien. Es sind nur noch wenige Stunden bis Tagesanbruch.«
    Vivien brachte kein Wort heraus. Hatte sie sich doch nicht in seinen Absichten getäuscht?
    »Wie ein guter Freund, wie Ihr Bruder werde ich neben Ihnen liegen. Glauben – Sie mir, ich will nur Ihre Albträume verjagen, das ist alles.« Er lachte leise auf. »Nun ja, eigentlich will ich schon noch mehr, aber nicht heute Nacht da können Sie mir voll vertrauen. Soll ich nun bleiben, oder möchten Sie, dass ich Ihnen eine Kerze anzünde?«
    Als Vivien die Antwort auf diese Frage in sich fand, war sie mehr als überrascht. Sie

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