Schicksalsmord (German Edition)
gediegene Interieur der Villa wahr: Parkett, Marmorkamin und wenige, futuristisch anmutende Möbelstücke. Alles wirkte sehr edel und sehr unterkühlt. Ich hockte mich auf die Kante eines unbequemen schwarzen Ledersessels und fühlte mich unbehaglich.
Wir kamen überhaupt nicht dazu, ein Gespräch zu beginnen, denn nicht einmal fünf Minuten später kam Professor Roland Rittweger nach Hause. Lydia hatte ihn offenbar noch nicht erwartet, denn von ihrer Begrüßung in der Diele schnappte ich etwas von einem ausgefallenen Termin auf. Dann sprach meine Schwester längere Zeit flüsternd auf ihn ein und mir war klar, dass sie meine Anwesenheit erklärte und diese Erklärung keine freundliche war.
Roland Rittweger ließ sich jedenfalls nichts anmerken und begrüßte mich überaus höflich. Ich war über sein gutes Aussehen erstaunt, obwohl er nicht mein Typ war. Er hatte etwas Gelacktes, das mich eher abstieß. Doch er war genau der Typ Mann, den Lydia bevorzugte, das fiel mir damals schon auf. Entschlossen griff ich nach meiner Tasche und erklärte, jetzt nicht weiter stören und mir ein Hotelzimmer suchen zu wollen. Lydia und ich könnten dann morgen reden. Zu meiner und auch zur Überraschung meiner Schwester ließ Roland Rittweger das nicht zu und bot mir das Gästezimmer an. Ich verspürte plötzlich eine bleierne Müdigkeit und nahm dankbar an. Nach einem gemeinsamen, angespannten Abendessen, bei dem Lydia und ich uns eher förmlich über den Gesundheitszustand unserer Mutter unterhielten, ging ich zu Bett.
Auch im Gästezimmer war alles schlicht und edel, die Einbauschränke, das unberührt wirkende Bett, die Lampen. In einer Ecke standen Lydias teure, bordeauxrote Lederkoffer. Offenbar bewohnte sie dieses Zimmer und hatte es vermieden, sich hier wohnlich einzurichten. Nichts außer den Koffern deutete auf ihre Anwesenheit hin.
Ich fragte mich nicht, wo Lydia nun eigentlich schliefe. Es war mir gleich, ob und wann Roland Rittwegers Frau wohl nach Hause käme. Ich schlief tief und traumlos, bis mich Geschirrgeklapper aus der unteren Etage weckte. Erschrocken stellte ich mit einem Blick auf die Uhr fest, dass es fast neun Uhr war. Derart hatte ich seit meiner Schulzeit nicht mehr verschlafen. Mein anstrengender Dienst im Krankenhaus und die beiden durchgrübelten Nächte hatten ihren Tribut gefordert. Vermisst hatte man mich anscheinend jedoch noch nicht. Mir fiel ein, dass Wochenende war und Lydias Bekannte vermutlich zu Hause wären.
Als ich nach einer kurzen Morgentoilette nach unten ging, traf ich Lydia in der hypermodernen Küche allerdings allein an. Sie goss mir nach einer kühlen Begrüßung schweigend Kaffee ein und griff nach der Zeitung. Ich nahm mir die Beilage. Beide stellten wir uns lesend, beide sammelten wir in Wahrheit nur Argumente für die unvermeidliche Auseinandersetzung. Krampfhaft suchte ich nach einem versöhnlichen Anfang, der das Eis zwischen uns brechen könnte.
In meine Gedanken hinein ertönte der Türgong. Lydia erhob sich unwillig und betätigte die Gegensprechanlage, ich hörte eine männliche Stimme, hörte Lydia die Tür öffnen und kurz darauf ihren erschrockenen, lauten Ruf: „Ulrike, komm doch mal her!“
Vor der Tür stand ein junger, verlegener Polizist in Uniform.
„Dietrich ist tot!“, rief Lydia jetzt, und auf ihrem Gesicht zeichnete sich eher Erstaunen als Erschrecken ab. Sie stellte mich kurz als ihre Schwester vor und der Polizist sprach mir murmelnd „Herzliches Beileid“ aus.
„Wie ist denn das passiert?“, fragte Lydia.
Dazu könne er nichts Genaues sagen, erwiderte der Polizist, dem die Situation sichtlich Unbehagen bereitete.
Wo ihr Mann jetzt sei, wollte Lydia wissen.
„In der Gerichtsmedizin. Es gibt Unklarheiten bezüglich der Todesursache.“ setzte er erklärend hinzu. Mehr könne er leider nicht sagen. Um sich endlich zurückziehen zu dürfen, wünschte der junge Polizist „einen schönen Tag noch“, um im gleichen Moment zu bemerken, wie unpassend das wohl war. Seine Ohren leuchteten signalrot, als er um die Hausecke verschwand.
„Einen schönen Tag noch“, sagte Lydia grimmig, „ich möchte mal wissen, wer diese Leute psychologisch schult.“ Dann schien sie sich der Situation erst richtig bewusst zu werden. „Was da jetzt auf mich zukommt! Ich bin noch seine Frau, ich bin für die Beisetzung verantwortlich.“ flüsterte sie. Plötzlich legte sie den Arm um mich und zog mich an sich. „Du bleibst doch Ulrike, ich brauche dich
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