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Schieber

Schieber

Titel: Schieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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hat.
    »Ich würde Sie noch auf ein Glas einladen, wenn ich etwas
Vorzeigbares in der Wohnung hätte …«, sagt er verlegen.
    Darauf lächelt MacDonald wie ein Schulbube und greift hinter den
Fahrersitz. Im gelblichen Licht erkennt der Oberinspektor eine Flasche
Dujardin-Imperial-Weinbrand. »Es ist Zeit, dass sich Engländer und Deutsche die
Kriegsbeute teilen.«
    An seinem ersten Abend trifft Karl ohne Vorwarnung auf Anna, denkt
Stave, während er sich müde die Treppen hochschleppt, nun bringe ich einen
englischen Offizier nach Hause. Der Junge wird sich an die neuen Zeiten
gewöhnen müssen. Doch nachdem er die Tür aufgeschlossen hat, stellt er rasch
fest, dass sein Sohn noch immer verschwunden ist.
    »Karl ist nicht da«, sagt er überflüssigerweise.
    »Dann bleibt mehr Weinbrand für uns übrig«, antwortet MacDonald und
tut so, als sei er nicht überrascht.
    Die folgenden Stunden versinken in einem angenehmen warmen Nebel.
Stave hat seit Jahren keinen Alkohol mehr getrunken. Die scharfe,
bernsteinfarbene Flüssigkeit entflammt seinen Rachen, brennt in seinem Magen,
treibt ihm Tränen in die Augen. Zeit, sich auch daran wieder zu gewöhnen. Er
hockt mit dem Lieutenant am Küchentisch, zwei alte Wassergläser auf der
Holzplatte. Sie betrinken sich systematisch und wortlos. Sie brauchen weniger
als zwei Stunden für die Flasche. Mit schweren Bewegungen stemmt sich MacDonald
schließlich aus dem Stuhl. Er geht wie ein alter Mann.
    »Wollen Sie sich auf das Sofa legen?«, fragt Stave und bemüht sich
um eine deutliche Aussprache.
    »Mein Jeep findet allein nach Haus«, antwortet der Lieutenant,
während er zwei Versuche benötigt, um nach seiner Mütze zu greifen.
    Später liegt Stave mit schwerem Kopf im Bett. Die schäbigen Wände
seines Zimmers tanzen vor seinen Augen, aber wenn er die Lider schließt, wird
der Schwindel noch heftiger. Fehlt noch, dass du dich vollkotzt, sagt er sich.
    Irgendwann, als er halb weggedämmert ist, schreckt ihn das kratzende
Geräusch des Wohnungsschlüssels auf. Ein Quietschen. Die knarzenden
Bohlenbretter. Ein Rumpeln, ein unterdrückter Fluch. Stave muss vergessen
haben, einen Küchenstuhl aus dem Weg zu räumen. Er ist erleichtert. Karl ist
wieder zu Hause. Er will aufspringen, ihn fragen, wo er so lange gewesen ist,
ihn einfach nur anblicken. Doch ihn schwindelt wieder, als er sich aufrichtet.
Soll er so aus dem Zimmer wanken? Nach Weinbrand stinkend?
    Er sinkt zurück ins Kissen. Nebenan im kleinen Zimmer klappert die
Kommode, deren oberste Schublade immer klemmt. Dann quietschen leise einige
Bettfedern. Stave schließt die Augen, zufrieden, dass er Karl wenigstens
zuhören darf.

Am Grab
    Dienstag, 10. Juni 1947
    Beim Frühstück sitzen sich Stave und sein Sohn schweigend
gegenüber. Stave rührt lustlos im gräulichen Ersatzkaffee, sein Magen
revoltiert schon, wenn er den Geruch der gerösteten Eicheln einatmet, sein
Schädel schmerzt von tausend Nadelstichen. Karl sieht nicht besser aus. Der
Kripobeamte wundert sich, was er vergangene Nacht wohl getan hat, unterdrückt
aber jede Frage. Schweigen. Lähmende Hitze im Zimmer. Grelles Licht, das an der
Rückseite der Augen schmerzt. Nur das leise Klingen des Blechlöffels ist zu
hören, mit dem Karl in endlosen Kreisen seinen noch unberührten Ersatzkaffee
umrührt.
    Schließlich hält Stave es nicht mehr aus. Um überhaupt etwas zu
sagen, wagt er einen Vorschlag. »Sollen wir Mama besuchen?«
    »Sie wohnt noch nebenan?« Gespielte Überraschung, die alte Lust an
Hohn und Spott. Stave ist beinahe erleichtert, dass Karl wenigstens seine
Schärfe über die Kriegszeit gerettet hat. »Gehen wir zu ihrem Grab«, erwidert
er.
    »Liegt sie noch auf dem Öjendorfer Friedhof?«
    Der Oberinspektor blickt Karl erstaunt an. »Wo sollte Mama sonst
sein?«
    Er zuckt die Achseln. »Hätte ja sein können, dass die Leute
Kartoffeln anpflanzen, wie auf der Wiese vor der Universität.«
    »Du warst an der Universität?«, entfährt es Stave. Blitzartige
Hoffnung, plötzlich ist er hellwach. Dräng ihn nicht zu sehr, ermahnt er sich
zugleich.
    Karl geht darauf nicht ein. »Heute Nachmittag«, murmelt er. »Kannst
du vom Dienst kommen? Dann gehen wir zum Grab.«
    Stave hätte jetzt gerne über die Universität gesprochen, über Karls
Zukunftspläne, über einen neuen Start ins Leben. Und, wer weiß, vielleicht
hätte er dabei irgendwann unauffällig seine eigenen Träume erwähnen können.
Anna. Besser nicht. Nur Geduld. »Ja«, antwortet er.

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