Schief gewickelt (German Edition)
und die Luft, die der eine atmet, ist für den anderen tödlich. Ab und zu steigen wir in eine Raumkapsel und versuchen uns zu unterhalten, aber am Ende können wir immer froh sein, dass wir die Kapseltüren mit einem Handgriff öffnen und alles wieder auf null setzen können.
Es gibt nur einen Planeten, auf dem wir uns beide wohl fühlen. Der Planet erscheint jede Woche einmal für knapp zwei Stunden und heißt Sportschau. Auch heute kommt er pünktlich. Hubert hat extra eine Verlobungsfeierpause angeordnet. Ich glaube, der Mezcal-Beats-Gitarrist hat allein eine Viertelstunde gebraucht, um seine ganzen Effektgeräte auszuschalten, aber jetzt sitzen wir alle glücklich vereint im Abrakadabra-Gastraum und gucken. Ich weiß, dass ich unter Dortmund-Fans sitze. An allen anderen Spieltagen wäre das ein Problem für einen Duisburger, aber heute spielt Duisburg gegen Schalke, und ich weiß, dass die Dortmunder meine Mannschaft unterstützen werden, als wäre es ihre eigene.
Simone ist draußen geblieben, hat sich in einen Liegestuhl gelegt und plaudert mit Dörtes Mutter. Sie macht es richtig. Nimmt das Ganze sportlich. Und überhaupt – wie entspannt sie aussieht. Wenn man bedenkt, dass NBW gerade dabei ist, fünf mittelständische Unternehmen zu schlucken und man ihr letzte Woche die Federführung dafür übertragen hat. Bestimmt gibt es in ganz Deutschland keinen einzigen Manager, der sich in dieser Situation am Wochenende in Latzhosen in den Liegestuhl legen würde. Und selbst wenn – er würde dabei auf keinen Fall so verdammt sexy aussehen.
Daniel will mit Fußball gucken. Mal sehen, ob er meine kleine Vereinsfarbenkunde vom letzten Wochenende behalten hat. Ich glaube nicht, dass das Abrakadabra mein Lieblingslokal werden könnte, aber zum Fußballgucken ist es großartig. Beamer, große Leinwand, alles da. Schalke gegen Duisburg zeigen sie schon als drittes Spiel. Daniel legt sofort los.
»Die Gelben sollen nicht gewinnen, die Gelben sind böse. Die Blauen sollen ein Tor schießen. O nein, die Gelben …«
Ach, du Schreck. Moment mal, Moment mal.
»Okay, Daniel, wie soll ich dir das erklären – die Duisburger sind heute ausnahmsweise gelb. Das sind die Auswärtstrikots, verstehst du? Die, die sonst die Blauen sind, sind heute die Gelben, weil die nämlich gegen andere Blaue spielen, und weil sie die Gastmannschaft sind, müssen die andere Trikots anziehen, sonst würde man die ja verwechseln, und das wäre doch dumm, wenn …«
Hubert lacht sich schlapp. Arsch.
»Also noch mal, das ist eigentlich ganz einfach: Die Gelben sind heute eigentlich die Blauen und deswegen die Guten, und die Blauen sind die Bösen, weil das andere Blaue sind. Verstehst du? Andere Blaue! Die sollen kein Tor schießen, obwohl die blau sind und die Gelben … Ach, scheiß drauf …«
*
Es ist überstanden.
»Ihr wollt wirklich schon gehen? Jetzt lassen wir es doch erst richtig krachen.«
»Na klar, aber Daniel muss ins Bett und Simone fühlt sich nicht so wohl, und da muss ich …«
»Und ihr wollt wirklich im Hotel pennen? Bei uns ist definitiv noch eine Matratze frei. Komm, ich geb dir den Schlüssel und ich sag den Jungs, dass sie nachher leise sein sollen, wenn sie reinkommen.«
»Ach, lass mal. Wir sehen uns ein andermal. Grüß die Jungs, die Musik war der Hammer.«
Handschlag, Schulterklopfen. Daniel schläft auf Simones Arm.
»Der süßeste kleine Zwerg, den ich je gesehen habe, echt, Markus.«
Er streicht ihm sanft über seinen Kopf. Okay, ich bin dir nicht mehr böse, dass du ihm den Dortmund-Strampelanzug geschenkt hast.
Die Raumkapseltür geht auf, und wir verschwinden im All.
*
Bei Nacht aus dem neunten Stock ist sogar Dortmund schön.
»Kannst du mich mal drücken?«
»Ach, Markus, es war doch alles in allem ganz nett.«
»Ich schlafe lieber in einem hässlichen Hotel als bei meinem Bruder. Nicht normal, oder?«
»Doch. Und jetzt komm, ich will nämlich strictly Rock ’n’ Roll mit dir machen.«
Und während sie lasziv einen Latzhosenträger von ihrer Schulter gleiten lässt, beginne ich dies Wort von einem Moment auf den anderen bedingungslos zu lieben.
8 A SYMMETRISCHE G ESICHTSBEHAARUNG
Wieder ist eine Woche vorbei. Bilanz:
Haben
Soll
Von Daniel erfolgreich absolvierte Kindergarten-Probetrainings:
3
Hundehaufen, in die Daniel reingestiegen ist:
4
Hundehalter, die von mir vermöbelt wurden:
0
Neue Beulen vom blöden Kletterschiff:
1
Tore, die Duisburg kassiert hat:
5
Wochenendtage,
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