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Schief gewickelt (German Edition)

Schief gewickelt (German Edition)

Titel: Schief gewickelt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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an denen Simone nicht arbeiten musste:
0,2
    Und mit feelgoood.com bin ich natürlich auch noch keinen Schritt weiter. Es ist wieder Montag. Simone ist wieder weg. Ich bin wieder allein und versklavt. Aber ich sehe Licht am Horizont. Wenn alles mit rechten Dingen zugeht, ist Daniel ab nächster Woche vormittags in den erfahrenen Händen der entzückenden Kindergarten-Claudia, und ich habe – Ruhe. Also, trotz verheerender Bilanz beste Zukunftsperspektiven.
    Heute habe ich die Milch nicht überkochen lassen. Und die Fahrt zum vierten Kindergarten-dran-gewöhn-Termin lief auch perfekt. Dafür ist dann, als ich die danielfreie Zeit nutzen wollte, um mich endlich mal wieder so richtig gründlich zu rasieren, mein Rasierapparat kaputtgegangen.
    Mein geliebter alter Braun-Brummblock. Mitten während der Scherarbeit. Brtzl und Schluss. Und die aufsteigende Qualmwolke sagte mir überdeutlich, dass hier wirklich nichts mehr zu machen war. Deswegen sitzen Daniel und ich jetzt auf meinem Fahrrad und nehmen Kurs Richtung Saturn-Elektromarkt am Alexanderplatz. Wenn ich mich schon von Brauni trennen muss, dann will ich wenigstens eine große Auswahl beim Kauf seines Nachfolgers haben.
    Ich benutze ja immer noch diesen Kinderfahrradsitz, bei dem das Kind quasi vorne auf der Stange draufsitzt. Mein Fahrradhändler schimpft zwar dauernd, dass Daniel dafür schon zu groß ist und dass ich mir gefälligst den 100-Euro-Hintendrauf-Sitz zulegen soll, aber ich liebe den Vornedrauf-Sitz. Damit habe ich Daniel beim Fahren zwischen meinen Armen, kann ihm Sachen ins Ohr sagen und dabei meine Nase an seinem Kopf reiben.
    Fahrradfahren in Berlin ist natürlich immer eine Gratwanderung. Du kommst zwar einigermaßen schnell voran, aber wehe, du machst eine falsche Bewegung. Wenn du Glück hast, bist du dann nur in den Straßenbahnschienen stecken geblieben und machst einen geschraubten Salto vorwärts über den Lenker. Wenn du aber Pech hast, wirst du auch mal eben schnell zwischen einem Touristenbus und einem Baulaster zermalmt, ohne dass irgendjemand außer dir das überhaupt mitkriegt. Ich muss mich also zügeln. Zärtlichkeiten für Daniel gibt’s nur in übersichtlichen Verkehrssituationen ohne Großfahrzeugbeteiligung.
    Im Moment geht leider gar nichts. Nach zwei Stunden kaltem Daniel-Entzug hätte ich zwar wirklich große Lust, mal wieder ausgiebig meine Nase in seinen Schopf zu stecken und mein Gesicht von seinen Haaren kitzeln zu lassen, aber ich fahre schon seit drei Minuten neben einem Linienbus her und starre ängstlich nach links. Immer wenn die Buswand weniger als zehn Zentimeter an meinen Lenker herankommt, denke ich ein wenig über mein Leben nach und warum ich es Tag für Tag so verantwortungslos aufs Spiel setze. Zum Glück schwankt die Buswand immer wieder im letzten Moment zurück.
    Busfahrer wollen Radfahrer gerne erschrecken, aber nur ganz selten wirklich töten, beruhige ich mich, aber die weichen Knie bleiben. Ich könnte etwas abbremsen und den Bus vorbeiziehen lassen, aber hinter dem Bus droht uns ein gigantischer schmutzstarrender Schuttlastzug mit einem Fahrer, der vermutlich morgens zum Frühstück zwei Hühnchen roh mit Federn verspeist, und da ist der Bus dann doch die bessere Wahl.
    »Kleihein Häschen wollt spazieren gehn
    Spazieren ganz allein
    Da hat’s das Bächlein nicht gesehn
    Und plumps, da fällt’s hinein«
    Na bravo. Ich kämpfe hier gegen Laster und Busse, und Daniel singt sich ein Liedchen. Das nenne ich Gemütsruhe. Da könnte selbst ein alter Zen-Meister blass werden vor Neid.
    »Dahas Bächlein trugs dem Tale zu
    Dort, wo die Mühle steht
    Uhund wo sich ohne Rast und Ruh
    Das große Mühlrad dreht«
    Ach, wie putzig. Haben sie wohl gerade im Kindergarten gesungen. Hat er ja schnell gelernt.
    »Gahanz langsam drehte sich das Rad
    Drauf sprang der kleine Has Uhund als er oben angelangt Sprang er hinab ins Gras
    Daha lief mein Häschen schnell nach Haus
    Ganz nass an Haut und Haar
    Dihie Mutter …
    Papa, nicht anhalten, ich will weiterfahrn!«
    »Ja … gleich.«
    »Warum weinst du, Papa?«
    »Ich wein doch … gar nicht.«
    »Doch. Da, eine Träne, da.«
    »Quatsch.«
    »Doch, eine Träne, da.«
    »Hm, ja … na gut. Also weißt du … ich hab als Kind … auch mal einen Hasen gehabt … und der … ach … egal. Kannst du mir … das Lied noch mal singen?«
    Ich fahre auf dem Bürgersteig weiter. In den folgenden Minuten komme ich dem endgültigen Sieg über mein durch plötzliches Hasenableben

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