Schieß, wenn du kannst Kommissar Morry
Wandschrank. Fast zur gleichen Zeit öffnete sich die Bibliothektür und Howard trat rasch ein. Er knickte nervös mit den Handgelenken und bemerkte überstürzt: „Sie haben Besuch, Sir. Ein Kommissar Morry von Scotland Yard ist am Tor. Er befindet sich auf dem Weg ins Haus."
Graham ließ den Schlüssel des Wandschrankes in die Jackettasche gleiten und schaute auf die Uhr. Es war kurz nach zehn. „Kommissar Morry? Wer, zum Teufel, soll das sein?"
„Ich erinnere mich, den Namen schon einmal in der Zeitung gelesen zu haben, Sir. Wenn ich richtig orientiert bin, handelt es sich bei dem Kommissar um ein sehr prominentes Mitglied des Yard."
Graham trat an den Kamin und stieß mit dem Fuß wütend gegen eines der Holzscheite. Die plötzliche Berührung hatte eine kleine Funkenexplosion zur Folge. Graham zog den Fuß rasch zurück und trat einen Funken aus, der bis auf den Teppich geflogen war.
„Verdammt, Howard, warum hast du den Kerl eingelassen?"
„Ich vermute, dem Kommissar ist bekannt, daß Sie sich im Hause befinden."
„Unsinn, Howard. Mir scheint, du erliegst einem weit verbreiteten menschlichen Irrtum. Du bist drauf und dran, der Faszination des Namens Scotland Yard den üblichen Tribut zu zollen. Das ist grundfalsch und kommt den Wünschen dieser Leute nur entgegen. Vergiß bitte nicht, daß es nur trockene und humorlose Beamte sind, die ihren Ruhm weniger der eigenen Tüchtigkeit verdanken, als vielmehr der üppig wuchernden Phantasie einer bestimmten Gruppe von Kriminalromanschreibern. Bitte erinnere dich stets daran!"
„Ich werde mich bemühen, Sir."
„Schon gut. Und jetzt führe den Besuch herein."
„Sehr wohl, Sir."
„Sobald der Kommissar hier Platz genommen hat, läufst du zu Crane. Befiehl ihm, sich weder zu zeigen noch zu rühren. Er darf auf gar keinen Fall Licht im Zimmer anzünden. Verstanden?"
„Ja, Sir."
„Noch eins, Howard..."
Der Diener, der sich, schon zum Gehen gewandt hatte, drehte sich erneut seinem Herrn zu.
„Sir?"
„Du hast doch hoffentlich nichts Dummes angestellt? Dir ist hoffentlich klar, daß ich in wenigen Minuten von dem Kommissar die Wahrheit erfahre . . .?"
„Sir, Sie dürfen überzeugt sein, daß ich den Besuch des Kommissars nicht veranlaßt habe."
Ein dumpfes Geräusch ertönte. Es war der Türklopfer.
„Verschwinde, Howard. Bevor du den Kerl in die Bibliothek geleitest, laß dir seinen Ausweis zeigen."
„Selbstverständlich, Sir."
Nachdem Howard das Zimmer verlassen hatte, griff Graham rasch nach Rays leerem Glas, das noch immer neben dem Sessel auf einem Tischchen stand. Zusammen mit dem gefüllten Aschenbecher stellte er es hinter den Wandschirm, der das Telefon verbarg. Dann nahm er im Sessel Platz und streckte beide Beine weit von sich. Mit halbgeschlossenen Augen erwartete er den Besucher.
Sekunden später klopfte es. Die Tür ging auf und der Butler meldete: „Kommissar Morry, Sir."
Graham erhob sich und ging mit einem verbindlichen Lächeln auf den Gast zu.
„Fürwahr ein ungewöhnlicher Besuch. Ich hoffe doch, es handelt sich um nichts Ernstes?"
Morry, der seinen Mantel in der Halle dem Diener überlassen hatte und nun in einem dunkelgrauen, unauffällig eleganten Freskoanzug dem Hausherrn gegenüber stand, erwiderte das Lächeln.
„Im Leben ist so ziemlich alles ernst, Sir. Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls vom Blickpunkt meines Arbeitsplatzes."
Graham wies einladend auf den Sessel, den vor kurzem noch Ray Crane benutzt hatte.
„Setzen Sie sich bitte, Kommissar. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?"
„Vielen Dank. Ich wäre Ihnen jedoch sehr zu Dank verpflichtet, wenn Sie mir die Erlaubnis einräumen würden, meine Pfeife zu rauchen. "
„Immerzu, Kommissar. Ich habe eine Schwäche für Männer, die Pfeife rauchen. Merkwürdigerweise erinnert dieses Requisit stets an Detektivarbeit... an Leute vom Schlage eines Sherlock Holmes."
Er lachte. „Soviel haben Sie also zumindest mit Ihrem großen Vorbild gemein."
Morry lächelte undurchsichtig. Im übrigen ignorierte er den kleinen Seitenhieb und stopfte sich mit aufmerksamer Sachkenntnis die Pfeife. Graham, der am Kamin lehnte, sah ohne eine Spur von Unsicherheit zu. Nachdem sich der Kommissar die Pfeife in Brand gesteckt hatte, blickte er sich kurz um.
„Sie haben es gemütlich hier, Mr. Graham."
„Vielen Dank. Es freut mich, daß es Ihnen gefällt."
„Sie wohnen ganz allein im Haus?"
„Darf ich erfahren, ob es sich bei diesen Fragen um Erkundigungen
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